Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
reicht ihnen aus in ihrer Gier, nein, in mein Inneres versuchen sie zu krabbeln. Setzt sich eine auf mein linkes Ohr, um in den Gehörgang an das Ohrenschmalz zu gelangen, klatsche ich sie mit einem langen Schlag weg. Nie erwische ich sie, ich haue auf mein Ohr, daß es schmerzt und mir die Brille fast von der Nase fällt. Das Ohr ist rot, die Fliege ist weg und eben auf dem rechten Ohr gelandet. Auch hier ein Schlag, da ist sie wieder auf dem linken Ohr. Eine andere versucht in die Augen zu krabbeln, die Tränendrüsen zu entdecken, hier darf ich nicht schlagen, sonst fliegt mir die Brille weg. Der Zeigefinger nützt wenig, bald ist sie wieder da. Der Mund, trocken zwar und salzig, ist ein weiteres Objekt ihrer Begierde. Sie wollen in den saftigen, feuchten, schleimigen Schlund, ein tiefer Atemzug, schon ist eine drin, die ich hustend und würgend ausspucke. Am unangenehmsten sind die im Nacken, der schweißglänzend lockt. Da krabbeln sie besonders gerne, Schweiß ist für sie wie Champagner, doch da kann ich schwer dran mit meinen Händen, mit links schon eher, etwas unbeholfen, rechts habe ich ja den Wanderstab. Und immer, wenn ich meinen Kopf schlage, ist das Biest schon wieder weg und sitzt lachend auf meiner Nasenspitze, um dort nach meinem Nasenschleim zu wühlen. Selbst beim Pinkeln sitzen sie auf den freigelegten, rosigfeuchten Teilen, um auch hier begierig einen Einlaß zu fordern. Ekelpack, ich fluche und schimpfe vor mich hin.
Die Fliegen sind auf der sonnenüberglühten Via de la Plata das, was die bissigen, jaulenden Hunde auf dem Camino del Norte im letzten Jahr waren: das Böse, das aus den Winkeln kriecht, den braven Pilgersmann zu überfallen, ihm seinen Frieden zu rauben. Die zwei Plagen des Weges. In Ägypten gab es sieben.
Ich bin fertig, und Salamanca will nicht näher kommen. Seit Stunden schon sehe ich den weißen Strich am Horizont, doch aus dem Strich werden keine Häuser. Fünf Kilometer in dieser kristallklaren Luft sehen aus wie ein Kilometer. Ein Hügel noch wie auf dem Mond, weißer Kalk mit gelben Grasfetzen, der Sturm wird fast zum Orkan. Eine Baustelle noch, Dreckberge mit grauem Staub überpudert, dann stehe ich plötzlich unvermittelt auf schwarzglänzender Asphaltstraße, rechts und links gepflasterte Gehwege, moderne Klinkerhäuser aus gelbem Hartbrand, die kleinen Bäumchen sind noch angebunden und blattlos, wie ein Schlag beginnt die Stadt. Eben noch die Verzweiflung der Halbwüste, jetzt die sterile Sauberkeit der Vorstadt. Ich entdecke ein Busschild, eine Haltestelle mit Glasdach, Schulmädchen warten auf den Bus. Ich bin wieder bei den Menschen in der Zivilisation, der kühle, gläserne Bus trägt mich auf weichen, sanften Straßen über den Fluß in die große Stadt.
Am Busbahnhof frage ich nach dem Bus zur Albergue Juvenil – der Jugendherberge. Man sagt mir: Linie 1. Linie 1 kommt, der Fahrer sagt, zur Jugendherberge der rote Bus. Kein roter Bus kommt. Nach einer halben Stunde wird es mir zu bunt. Ich laufe, humpele los, über die lange Brücke, verlaufe mich in den Verkehrskreiseln, zurück, die Ausfallstraße entlang, dann rechts ab, vor der Jugendherberge hält der Bus Linie 1. Ich verfluche den Fahrer, jetzt bin ich da. Eine schöne, große, moderne Herberge mit Rezeption und freundlicher Empfangsdame, ich habe ein Vierbettzimmer für 12,40 Euro mit eigenem Bad, ganz für mich allein, kühl, ruhig, dunkel, es ist noch kein Betrieb in der Herberge.
Heute war die beschissenste Etappe der ganzen Wanderung, Halbzeit, ich bin 500 Kilometer gelaufen, vier Wochen unterwegs. Dusche, zwei Stunden Dämmern im kühlen, dunklen Zimmer ohne stechende Sonne und eklige Fliegen, fein gemacht und auf der Römerbrücke über den breiten Río Tormes in die Stadt. Auch Salamanca hat natürlich eine Römerbrücke.
Salamanca, die große, alte Stadt, gegründet als Salmantica im Jahre 17 v. Chr. von Kaiser Trajan am Flußübergang der Silberstraße. Später war Salamanca islamisch, bis es im Jahr 1085 von den Christen unter Alfons VI. zurückerobert wurde wie Cáceres, Mérida, Sevilla. Die ewig gleiche Geschichte. 1218 wurde die Universität gegründet, die Salamanca weltberühmt machte und im 16. Jahrhundert ihre Blütezeit erlebte. Sie verfügte über 70 Lehrstühle für 12.000 Studenten. Damals festigte sie ihren Ruf als eine der ältesten und berühmtesten Lehrstätten der Welt.
Grandios beherrscht die Catedral Nueva – die Neue Kathedrale – den Fluß mit der zehnbogigen
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