Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
Clérica in den Himmel, gewaltig, grotesk, wie alles in dieser Stadt der Überheblichkeit. Sie ist ein Werk von Juan Gómez de la Mora, wurde 1617 als Jesuitenkirche gegründet und gehört zur Universidad Pontificia. Der riesige Komplex wurde von Margareta von Habsburg erbaut, der Gemahlin Philipps III., die auf diese Weise dem Jesuitenorden das Leid wieder gutmachen wollte, das ihrem Gründer, San Ignacio de Loyola zugefügt wurde, als dieser in Salamanca von den Dominikanern eingesperrt wurde. Im gewaltigen dreigeschossigen Kreuzgang erlebe ich die ebenfalls gewaltigen Fresken mit dem Zyklus aus dem Leben des Heiligen Ignazius. Dieser Kreuzgang hat eine Besonderheit.
Als einziger ist er mit raumhohen Fenstern und Läden verschlossen, während sonst die Kreuzgänge sich auf den Innenhof öffnen, mit Blumenrabatten, Kieswegen und Brunnen dekoriert. Hier umschließt er einen streng gepflasterten Hof, ohne ein einziges Blümchen zur Freude und Erbauung der Mönche. Wie heißt es doch: Nueve meses de invierno, tres meses de infierno. Kastilien, das Land der eiskalten Winter und der glühendheißen Sommer.
An den Wänden des gigantischen Treppenhauses entdecke ich in roter, antiker Schrift, über die ganzen Wände verstreut, lateinische Namen. Vom Führer einer Touristengruppe erfahre ich, daß hier sämtliche Studenten der Jurisprudenz mit Auszeichnung seit 1970 mit lateinisiertem Namen und Geburtsort verewigt sind. In der ergreifenden Aula umrundet das ansteigende, braun geschnitzte Gestühl mit samtroten Bezügen einen feierlichen Raum. Hier ziehen sich die Studenten vor ihrem Examen drei Tage und Nächte zurück, um sich innerlich zu sammeln und vorzubereiten. Tiefe, alte Geschichte und Tradition dieses alten Landes. Nichts wurde hier vergessen und verdrängt, nichts verloren und verboten. Die Größe der Nation mit ihrer heroischen Geschichte ist hier Ehre, keine Schande, wie in unserem Land, das sie lieber vergessen möchte. Nation hatte hier nie etwas mit Nationalismus zu tun. Selbst Franco konnte diesen Nationalstolz nicht zerstören. Hitler tötete uns, Franco ritzte nicht einmal den spanischen Stolz.
Nach soviel heroischer Kultur zieht es mich zum Essen auf die Plaza Mayor, die nun gleißend hell und schattenlos unter Kastiliens Sonne liegt. Ich versuche im Freien ein Bier zu trinken. Es weht ein bitterkalter Wind, trotz der strahlenden Sonne. Wir sind schließlich 900 Meter hoch. Keiner sitzt draußen, zu essen bekomme ich hier nichts. Erstens sitzt man in Kastilien nicht über Mittag draußen in der Sonne und zweitens bekommt man deshalb draußen auch nichts zu essen. Da muß man in den Comedor und der liegt im Keller neben den Toiletten. Sonnenschirme gibt es nicht.
Auch ich ziehe mich deshalb in eine der vielen klimatisierten Bars hinter den Kolonaden zurück, wo man mittags kleine Pintxos ißt, das sind die bekannten spanischen Appetithäppchen mit Fleisch, Wurst, Fisch, Oliven, Sardellen, Käse, Zwiebeln, Paprika auf kleinen Brötchen, anderswo auch Tapas genannt. Dazu trinkt man den kühlen, spritzigen, weißen Wein der Gegend.
An der Bar sitzen zwei Mädchen auf den hohen Hockern. Bei der einen sieht man ihr scharlachrotes Höschen, bei der anderen bereits die Pobacken, das Höschen sieht man nicht. Sie trägt nur einen Tangaslip aus hauchdünnen Bändern. Sie versuchen ständig, ihre zu kurzen Jeans hochzuziehen, was aber nie gelingt. Die sind im Sitzen eben zu kurz. Warum ziehen und zuppeln sie eigentlich ständig? Entweder zeige ich meine Unterwäsche oder nicht oder ich trage nicht diese zu kurz geschnittenen Hosen. Oder ist hier doch noch ein Funke von Scham übrig geblieben in all der Geilheit, die unsere Jugend durchzieht?
Zwei andere liegen mit nackten Bäuchen, die T-Shirts bis zu den Brüsten hochgezogen, mitten auf der Plaza in der Sonne. Eine Jugend ohne Scham und Moral. Wie es das Fernsehen mit ihren Go-Go-Stars und Sternchen ihnen vormacht.
Nachmittags besuche ich die Catedral Nueva – die Neue Katredrale – hoch über dem Fluß. Ein honiggelbes Zuckerwerk aus gotischen Fialen, Strebebögen und Spitztürmchen. Alles, was die Spanier machen, ist immer etwas übertrieben. Plateresk nennt man diesen Stil, wo ein Rankenwerk von Arabesken wie Honigsoße die Fassade überzieht und von den Türmen die Wände hinabläuft. König Ferdinand der Katholische ließ die Kathedrale 1513 beginnen, da die alte Kathedrale – die Catedral Vieja – zu klein geworden war, die jetzt wie eine Kapelle
Weitere Kostenlose Bücher