Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
Büßerprozession und den Männern unter den weißen und den schwarzen Kapuzen und dieser ganzen Weltuntergangsstimmung des Karfreitags in diesem Museum. Ich verstehe jetzt, warum die Kellnerinnen in ihren schwarzen Kleidern so leidvoll und abweisend sind. Sie tragen das Leid der Welt, wie die Büßer am Karfreitag in ihren schwarzen Kutten. Ich will jetzt bald hier weg, dorthin, wo die Sonne lieblich lacht und die Menschen freundlich sind zu den Pilgern.
Wiedersehen mit den Freunden
Mittwoch, der 7. Juni, von Zamora
nach Montamarta, 17,9 Kilometer,
gesamt 586,5 Kilometer
27. Wandertag
Heute habe ich eine leichte Strecke vor mir, 17,9 Kilometer, raus aus der großen Stadt, die mir allmählich zum Gefängnis wird. Pilgern bedeutet, sich bewegen, Fuß vor Fuß setzen auf dem langen Pilgerpfad, nicht Stunden um Stunden auf der Plaza sitzen bei Wein und einem Buch. Ich gehe mit leichtem Gepäck, der Rucksack ist fast leer, ich habe nur das Nötigste dabei, eine Flasche Wasser und eine Orange. Erst aber muß ich wieder einmal durch die Hölle der Schnellstraße mit Auto- und Möbelhäusern auf endlosen 5 Kilometern. Alle Pracht der Konsumwelt ist auf diesem Strip ausgestellt in gläsernen, blitzenden Kaufhäusern mit schrägen, lilaroten, zitronengelben, mintgrünen, dünnen Säulchen, die die geschwungenen, abenteuerlich gebogenen, blechernen Flugdächer aufspießen. Davor gekurvte Vorfahrten mit endlosen Parkplätzen, grasgrünen Rasenflächen, kurz geschoren und von Wassersprühern schon um zehn Uhr morgens besprengt, auf denen rostrote Steinblöcke zu kleinen Gebirgen getürmt sind oder Palmen auf vertrockneten Stielen ihre exotischen Wedel im Morgenwind wiegen. Las Vegas in Spanien, ringsum die gelbe, verdorrte Wüste hinter Drahtgitterzäunen ausgesperrt, an denen Plastiktüten kleben.
Hier wird alles ausgestellt hinter den haushohen Glasfenstern: Mercedes, BMW, Volvo, Opel, Ford, Hyundai, Ferrari, Honda und Toyota, kalt blitzend auf schrägen Podesten. Mit 20.000 Euro oder meiner Kreditkarte bräuchte ich nicht mehr zu laufen, ich könnte mir den Luxus kaufen und als moderner Mensch in acht Stunden in Santiago sein. Außer mir ist niemand da in dieser frühen Morgenstunde, weder ein Autokäufer noch ein Pilger.
In Roales del Pan verlasse ich diesen Konsumstrip, der nicht meine Welt ist und stampfe wieder auf der staubigen Kiespiste weiter, die seit fünf Wochen mein Zuhause geworden ist. Auf der Calle General Franco – niemand hat diesen Namen hier getilgt, so als würden wir weiterhin auf der Adolf-Hitler-Straße laufen – begegnen mir vier alte Weiblein, gebückt, mit langen Röcken und Kopftüchern.
„Adonde vas, peregrino?“
„A Santiago.“
„Buen viaje, piede para nosotros a Santiago.“ – Bitte für uns in Santiago!
Das verspreche ich ihnen und mein Herz zittert vor Stolz und Freude.
Hinter Roales del Pan komme ich durch das wohl langweiligste, verlorenste Stück Weite, durch das ich jemals gekommen bin. Ich bin jetzt in der Tierra del Pan – dem Brotland. Endlose Kornfelder in müdem Gelb und verblichenem Grün bis zum Horizont, dazwischen in erdigem Braun schon abgeerntete oder nicht bestellte Brachen. Nichts außer Feldern. Kein Baum, kein Haus, keine Straße. Die Piste ist 4 Kilometer lang, ein endloser gerader Strich durch eine Landschaft, die oben auf einem Hügel aufhört, um sich dann hinunter zum nächsten Hügel zu stürzen. Dieses Land ist von ergreifender Monotonie, ein Patchwork von verblassenden Farben, zerschnitten von den weißgelben Bändern der Kiespisten, die sich alle zwei Kilometer kreuzen, rechtwinklig oder schräg, geradeso wie der Vermesser sie auf der Karte eingezeichnet hat. Es gibt noch nicht einmal mehr Wegweiser, an den Gabelungen kann man den braunen Stein leicht übersehen, auf den ein kleiner, verlorener, gelber Pfeil gepinselt ist. Wehe, man läuft falsch, dann sieht es nach vier Kilometern noch so aus, wie an der Kreuzung vorher und 360 Grad in der Runde wie überall.
Trotzdem bin ich glücklich. Ich laufe so leicht, wie seit langem nicht mehr. Zum ersten Mal wieder auftreten zu können ohne Schmerzen! Ein paar Tabletten, ein kühler Umschlag, und alles ist weg. Ich fühle mich wie ein Vogel, der seinen Weg fliegt. Heute bin ich ein Falke, gestern ein Wurm, der am Kies festklebte. Warum habe ich da nicht schon früher etwas unternommen? Die Medizin hilft doch besser als alle Heiligen! Verzeih mir, Santiago. Wenn ich schon in Salamanca ins Krankenhaus
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