Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
Heilige zieht uns. Wir wollen uns auch bewegen, die drei, weil es ihr erster Tag ist, ich, weil ich schon zu lange in Zamora herumgesessen habe. Die unfreundlichen Bedienungen schicken uns keinen Gruß nach. Ihnen ist es egal, ob wir kommen oder gehen. Römer, Mauren, Christen, Touristen, sie haben schon viele über sich ergehen lassen müssen, das hat sie hart gemacht, sie können nicht jeden Eindringling gleich umarmen und anlächeln.
Der Fahrer hält vor der schon bekannten Bar Rosamari in Montamarta, wo ich gestern meine Wanderung beendete und die drei netten Deutschen aus Torremolinos traf. Das Taxi spuckt uns aus „in the middle of nowhere“. Die Gegend ist noch trostloser als gestern, heute sind auch die Weizenfelder verschwunden, nur ausgetrocknete Bachbetten, weißgraues, verbranntes Gras, gelbe zerfahrene Pisten. Aber ich bin nicht mehr allein. Wir trotten hintereinander her, ein Häuflein Verlorener, die drei leiden unter der sengenden Sonne, gestern waren sie noch im kühlen, wolkenbedeckten Holland, ich sehe mit Sorgen auf ihre rosige Haut und rate ihnen, sich gut und reichlich mit Sonnenschutzmittel einzucremen.
Auf flachem, rostbraunem Hügel ragen einige staubige, zerfallene Ruinen in den Himmel, Mauerreste, zerbrochene Torbögen, Stümpfe von Türmen. Dies ist die Burgruine Castrotorafe, eine Ordensburg der Jakobsritter aus dem 12. Jahrhundert oder vielmehr das, was die kriegerischen Zeitläufte von ihr übrig gelassen haben. Eine gewaltige Anlage, Zeugnis der Macht und Größe der Ritterorden, wie stolz eine große, weiße Tafel am Weg verkündet. Wir sehen die staubige Piste, die durch die Einöde zur Burg führt und verzichten auf eine Besichtigung der hitzeflirrenden Trümmer.
Unser Weg ist ein Trampelpfad geworden, der sich in umständlichen Windungen um den Embalse del Esla o de Ricobayo schlängelt, einen Stausee, der den Río Esla aufstaut. Der ist in dieser Jahreszeit zur Hälfte ausgetrocknet, graue Felsen ragen aus grauweißem, zerrissenem, trockenem Schlamm. Das verschlossene Feriendorf oberhalb des Randes läßt bessere Zeiten vermuten, wo der See wohl ein lieblicher Erholungsort mit Wassersport und Baden ist.
In der größten Mittagshitze suchen wir ein wenig Schatten unter einem der seltenen, trockenen Büsche, wo wir uns erschöpft ins Gras werfen und die mitgebrachten Schätze auspacken. Jeder stiftet ein bißchen bei und unter Lachen, Scherzen und Erzählen genießen wir unser frugales Picknick. Ich bin glücklich. Es ist ein tiefes, schönes Gefühl, nicht mehr so allein sein zu müssen in dieser verlassenen Landschaft. Louk freut sich wie ein Kind, daß er in seinem mitgebrachten GPS nach einigen Versuchen unseren Standort genau bestimmen kann. Louk ist ein Technikfreak, der alles auf seinem Computer ermittelt.
Nach dem Mittagessen verliere ich die drei, die schneller sind als ich, aus den Augen. Sie sind ja auch noch frischer und unverbrauchter. Ein Schäfer, der mir mit seiner Herde entgegen kommt, erzählt mir, daß er meine drei „Compañeros“ getroffen habe. Keine Sorge, ich werde sie schon wiederfinden. Eher verliert man im Gedränge des Hauptbahnhofs einen Freund aus den Augen als hier in der Unendlichkeit, wo es außer uns Vieren niemanden gibt. Und den Schäfer natürlich. Ein harter Händedruck und „Buen Camino“. In der Wildnis ist man freundlich, in der Stadt nicht.
An der Carretera treffe ich auf eine riesige Tankstelle, weiß und rot und Texaco, wie ein Ufo in einer grellweißen Wüste. Ich muß an New Mexico denken, wo die gleichen rotweißen Tankstellen an den Highways stehen, genau so gottverlassen in der gleichen hitzeflirrenden Landschaft. In einer klimatisierten Blechbude stürze ich ein eiskaltes Bier herunter. Ja, eine blonde Frau sei hier gewesen und habe Wasser gekauft. Ich bin auf dem richtigen Weg. Die drei sind vor mir.
Der erste Ort ist auch gleich der letzte für heute. Am Eingang des Ortes, der mit seinen verkommenen, eingeschossigen Häusern hinter brüchigen, roten Ziegelmauern brutal von der Carretera zerschnitten wird, liegt gleich links eine Bar, die einzige des Ortes, eine dreckbespritzte Mauer mit einem mit Läden verschlossenen Fenster und einer geöffneten blauen Tür. Drinnen in dem fast dunklen Raum sitzen meine drei Freunde. Sie eröffnen mir, daß sie für heute genug hätten, und hier bleiben wollen. Mir soll’s recht sein, ich bin so glücklich, nicht immer alles allein entscheiden zu müssen. Santiago hat uns vier
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