Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
gegangen wäre, hätte ich mir drei schmerzvolle Tage ersparen können. Allerdings habe ich heute keinen schweren Rucksack dabei, lächerliche 5 Kilo, und habe mich vier Tage lang ausgeruht.
In dem verkommenen, schmuddeligen Ort Montamarta suche ich gleich die Bar an der Nationalstraße. Si, ein Bus fährt, aber erst um 15.45 Uhr. Jetzt ist es 13.00 Uhr. Muß ich halt so lange warten. Die Bar ist klimatisiert, ich trinke mein Bier, esse ein Bocadillo mit Schinken, schreibe Tagebuch, lese in meinem Buch und warte auf den Bus, wie die anderen Männer an der Bar, die immer nur warten auf irgendetwas, das niemals geschieht oder einmal doch.
Plötzlich steht ein Mann an meinem Tisch und spricht mich auf Deutsch an. Er habe mich schon vor einigen Tagen auf der Carretera gesehen, mit meinem Strohhut und meinem Rucksack. Er sei mit seiner Frau und seinem Freund nach Santiago gefahren und auf der Rückreise nach Torremolinos, wo sie wohnen. Ob er mich nach Zamora mitnehmen könne? Freudig sage ich zu und steige in den silbergrauen Mercedes mit den getönten Scheiben und der Klimaanlage. Ich sinke in die Polster und erzähle von meiner Wanderung. Walter, seine spanische Frau und sein Freund Peter haben vor Jahren Deutschland verlassen und wohnen nun in Andalusien, sicher in einem dieser feinen, deutschen Wohnghettos, wo man unter sich ist. Sie geben mir gleich ihre Visitenkarten und laden mich natürlich zu sich nach Torremolinos ein. Diese wohlsituierten Bürger beneiden uns vagabundierende Pilger schon ein bißchen um unsere Freiheit und unsere Abenteuer, die sie vielleicht auch gern erleben würden, wenn ihr Leben nicht so schön und bequem wäre. Ich finde es schön, in 15 Minuten in Zamora zu sein, erzähle gerne ein wenig von meinen Erlebnissen und den 1000 Kilometern zu meinem Heiligen und bedanke mich artig.
Nun aber schnell ins Hotel, ein wenig schlummern in der dunklen Ruhe, den Fuß ein wenig kühlen und mich auf die Freunde freuen. Doch welch eine Überraschung: vor dem Hotel sitzen sie schon auf der Plaza. Sechs jubelnde Hände gehen in die Höhe, sie sind schon da und warten auf mich. Wir fallen uns in die Arme: Louk und Nolly aus Delft und Jean aus Sanary- sur-Mer in der Provence. Wir trafen uns vor einem Jahr im Juni auf dem Camino Primitivo in dem gottverlassenen Ort La Mesa in den Bergen von Galicien. Ich saß von allen Menschen verlassen, traurig, einsam und seit Tagen allein vor der Herberge, als vier kleine Gestalten die Straße emporkamen mit Wanderstöcken und Muscheln um den Hals. Jakobspilger. Damals war noch Monika aus Düsseldorf dabei. Wir aßen zu Abend, wir wanderten vier Tage gemeinsam nach Lugo, wo sie einen anderen Weg nahmen und mich verließen.
Ich besuchte Louk und Nolly im Januar 2006 in Delft und wir verabredeten uns für den 7. Juni in Zamora. Die Drei waren den südlichen Teil der Via de la Plata schon vor zwei Jahren gegangen und wollten wie ich nun den nördlichen Teil machen. Also wollten wir gemeinsam gehen, zumindest eine Zeit lang. So sind wir Jakobsbrüder, nie gesehen, einmal getroffen, einige Tage zusammen auf dem Weg und Freunde fürs Leben.
Ist das ein Lachen und Scherzen und Erzählen. Bald sind zwei Holländer aus Zwolle vom Nachbartisch auch mit in unserer Runde und es wird ein langer Abend, den wir um halb zwölf mit einer Runde Aguardiente beschließen. Wir trinken mindestens fünf Flaschen Wein. Ich bin so glücklich, nicht mehr allein zu sein, so wie ich es vor einem Jahr in Galicien war. Der Mensch, ein geselliges Wesen. Auch Steppenwölfe brauchen die Wärme der Gemeinschaft. Ich bestelle noch ein Taxi für morgen früh. Wir wollen nach Montamarta fahren und von dort nach Granja de Moreruela laufen, da ich ihnen von dem heutigen Weg wegen seiner grenzenlosen Langeweile abgeraten habe.
Zu viert nach Riego del Camino
Donnerstag, der 8. Juni, von Montamarta
nach Riego del Camino, 16,4 Kilometer
Gesamt 602,9 Kilometer
28. Wandertag
Um acht Uhr steht das Taxi pünktlich vor der Tür unserer Cafeteria. Wir stopfen noch schnell die letzten Brocken unserer Crostadas in den Mund, den letzten Schluck heißen Kaffee, dann die vier Rucksäcke in den Kofferraum, drei passen rein, einer muß mit nach vorne, die drei Freunde hinten auf die Rückbank, der vierte Rucksack quer über die Knie. Los geht’s. Adiós Zamora, du warst mir eine liebe, eine schöne Stadt, etwas unfreundlich zwar, doch so sind die harten Castillianos eben, nun geht es weiter auf Jakobs Wegen, der
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