Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
Mauren, machten sie wie alle anderen Christen den Pilgerweg nach Santiago zum Grab des Heiligen. Dazu benutzten eben diese „Mozaraber“ aus den südlichen Provinzen des Landes den Mozarabischen Weg.
Die Straße bringt uns zum Río Esla, der in tiefer Scharte in den grünen Wäldern unter uns als blauschimmerndes Band aufblitzt. Auf einmal hat sich die Landschaft geändert. Fuhren wir bis Granja de Moreruela noch durch die endlose Weite der Weizenfelder, so ist das Land auf einmal hügelig geworden, von dichten Steineichenwäldern bedeckt. Man hat hier den Río Esla aufgestaut zum Embalse del Esla, den wir ja gestern schon umrundet hatten. War er aber gestern schlammig und halb ausgetrocknet, so liegt er nun als blaublitzende Spiegelfläche unter uns. Über dem See führt die Straße auf großer, neuer Bogenbrücke, erbaut wie die alten Römerbrücken in Salamanca und Mérida, über acht gewaltige Sandsteinbögen, die sich im Wasserspiegel zu Riesenkreisen schließen.
Hier will ich aussteigen, über diese Brücke muß ich zu Fuß gehen und mich dann auf der anderen Seite in die Büsche schlagen. Ich bin halt Wanderer aus Leidenschaft. Ich verabschiede mich von den drei Freunden, die weiterfahren wollen, wir werden uns heute Abend in Tábara sowieso wiedertreffen. Tief im See unterhalb der neuen Brücke liegt im Wasser ertrunken die Puente Quintos, über die einst die Pilger zogen. Fällt das Wasser ganz tief, soll die Brücke wieder auftauchen aus ihrem nassen Grab. Links hinter der neuen Brücke zweigt kaum erkennbar ein schmaler Pfad ab, der auf und ab über Felsen und Kiessschutt durch duftende Macchie dem Seeufer folgt. Schwierig und nicht ganz gefahrlos zu gehen mit dem schweren Rucksack. Sorgfältig benutze ich meinen Stock als Stütze. Welch eine andere Welt nun nach der gelben, verbrannten Steppe hoch über dem kristallklaren Wasser durch grüne Hügel, kalkweiße Felsen unter diesem strahlenden Morgenhimmel. Die Zeit des Leidens, der Entbehrungen, der unermeßlichen Grenzenlosigkeit ohne Horizonte und Ausblicke ist nun vorbei. Ich habe die große Ebene überwunden.
An einem Felsen treffe ich Hilmar aus Wennigsen und Pierre und Nicole aus Kanada. Sie frühstücken gerade und wir begrüßen uns freudig überrascht. Hilmar freut sich und erzählt mir strahlend, nun habe er endlich den berühmten Deutschen getroffen, von dem man sich auf dem Weg schon erzählt. Ich frage ihn verwundert, ob er mich meine. „Na klar“ sagt er, von mir spreche man doch, von dem, der abends immer noch bis spät in der Nacht vor den Bars sitzt, ein großes Glas Brandy trinkt und dabei genußvoll seine Havanna raucht. Da bin ich aber erstaunt, daß mir so ein Ruf voraus eilt.
Nun muß ich aber dazu und zu meiner Ehrenrettung etwas erklären. Nicht, daß man denkt, ich sei Alkoholiker! Es ist nämlich so: Wenn ich den ganzen Tag 6-8 Stunden mutterseelenallein durch diese staubigen, menschenleeren, verlassenen Landschaften gewandert bin und dann abends ebenso allein und verlassen ausgepowert und erschöpft vor meiner Bar sitze, wo mich niemand kennt und ich niemanden sehe, den ich kenne, dann brauche ich nach dem einsamen Essen mit mir allein eine Zeit des Entspannens, des Ausruhens, des Sichgehenlassens. Und das ist nun einmal meine Abendzigarre und mein Abendbrandy, die mir zu vertrauten Freunden geworden sind. Da habe ich etwas, an das ich mich „halten“ kann, mit dem ich mich beschäftigen kann. Ich sinne in die warmen Abende, träume den blauen Wölkchen nach, die ich aus meiner Zigarre paffe und habe noch zwei Stunden mit mir zu tun, bevor ich in mein einsames Bett falle. Ich denke über den Tag nach, freue mich auf den nächsten Morgen und dabei hilft mir der warme, dunkle, tiefe Brandy. Nebenbei ist dieses ein uraltes Ritual, Zigarre und Brandy, das den spanischen Männern im ganzen Land zu eigen ist.
Und außerdem, nirgendwo bekommt man für so wenig Geld ein solch großes, tiefes Glas voll funkelndem, erdigem, duftendem Brandy wie in Spanien, sei es Carlos Primero, Segundo, Tercero oder John Osborne Veterano – der mit dem schwarzen Stier. Nie würde ich dies in Deutschland machen oder in Frankreich, wo es diesen parfümierten, seifigen Cognac gibt oder in Italien, wo man sowieso nur in einem Riesenglas eine erbärmliche Pfütze für teures Geld erhält. Nein, hier in Spanien kann man seine Nase und seinen Mund in diesen dunklen See tauchen, braun und erdig und samtig süß wie dieses geheimnisvolle, dunkle,
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