Auf der Sonnenseite - Roman
für Monat böse übers Ohr gehauen wurden.
Er war auch nicht auf Freundschaften aus, wusste längst, wahre Freunde sucht man nicht, die findet man. Er war freundlich und höflich, lachte gern, riss oft Witze, war nicht unbeliebt bei seinen Kollegen. Ihre Interessen aber waren viel zu unterschiedlich. Ihm war oft, als sei er nur zu Besuch in dieser neuen, ihm vielleicht nie ganz vertraut werdenden Welt.
Nicht sehr viel anders erging es Lenz auf seinen Dienstreisen. Jugoslawien, Bulgarien, Rumänien, Polen, die CSSR, Ungarn, so hießen seine Reisegebiete. Überall empfing man ihn herzlich, überall hielt man die Hand auf. Die reiche Westfirma sollte was Privates hineinlegen, so ganz uneigennützig wollte man auch im real existierenden Sozialismus nicht arbeiten.
So war er, der ehemalige Ostler, auf einmal der reiche Westler. Und konnte gar nicht so denken! Wie war er froh, als er später noch Griechenland und die Türkei in seinen Zuständigkeitsbereich übernehmen durfte. Eine Erholung, Kapitalist unter Kapitalisten zu sein!
Als besonders unangenehm empfand er es, wenn die Partner aus dem Osten zu ihm kamen, in den reichen Westen. Dann fuhr er sie an den Rhein, zeigte ihnen das touristenverseuchte Rüdesheim und den Loreley-Felsen, lud sie zum Essen ein und in Konzerte und sah ihnen immer wieder an, dass sie mehr von ihm erwarteten – ein kleines Bündel Deutschmark.
Sie wollten einkaufen, etwas mitbringen, vor ihren Familien zu Hause mit Geschenken glänzen. Und er hatte ja auch Verständnis für diesen Wunsch und tat jedes Mal, was er konnte, um der Geschäftsführung ein paar Hunderter aus den Rippen zu leiern. Doch empfanden seine Gäste, was er ihnen in die Hand drückte, stets als viel zu wenig, und oft glaubten sie – alles Handelsfunktionäre oder Chefärzte –, es läge allein an seinem guten Willen, dass das Bündel nicht dicker war. Da war es ihm dann schon lieber, wenn sie brav zu Hause blieben. Reichte ja, wenn er sie besuchte.
Ein unbequemer Platz, der zwischen den Stühlen. Auf den Ost-Stuhl gehörte Lenz nicht mehr, auf dem West-Stuhl saß er nur mit einer Backe.
Während eines Nephrologie-Symposiums in Warschau spürte er diese unbequeme Haltung auf besonders deutliche Weise.
Aus ganz Europa waren sie angereist gekommen, die Nierenspezialisten unter den Ärzten, junge Doktoren und berühmte Professoren, und natürlich auch all die Vertreter der Firmen, die ihnen Medikamente, Präparate und Apparate verkaufen wollten. Der schillerndste der Spezialisten: Dr. Siegfried Nabel, ein etwa vierzigjähriger Chefarzt aus Schwaben, im inoffiziellen Nebenberuf Mitarbeiter bei Willgruber & Dietz . Die Firma bezahlte ihn dafür, dass er ihre Produkte in seiner Klinik verwendete und in Fachzeitschriften entsprechend lobte. Fünf Prozent Umsatzbeteiligung an allem, was er einkaufte, schmierte man ihm dafür aufs ohnehin nicht schlecht belegte Chefarzt-Brötchen. Bei zwei, drei Millionen Umsatz im Jahr kein Pappenstiel; eine Finca in Spanien war da locker finanziert.
In Warschau traf Lenz ihn zum ersten Mal, den »Nabel der Welt«, von dem er schon so viel gehört hatte.
Micha hatte aus der Schule einen Spruch mit nach Hause gebracht: »Da rollen sich einem ja die Fußnägel auf!« Genauso erging es Lenz, als er Dr. Siegfried Nabel beobachtete, der unter seinen eher seriös gekleideten Kollegen die Rolle des bunten Vogels übernommen hatte. Groß, breit, kräftig und fest im Fleisch war er, um die frühe, sonnengebräunte Halbglatze zog sich ein schmaler Streifen rabenschwarzen Haares und die dichten Augenbrauen erinnerten an Fledermausflügel. Aus bernsteinfarbenen Augen blickte er in die Welt, als wollte er jedem suggerieren: »Lass uns zu gegenseitigem Nutzen Freunde sein.« Dazu das weit offene Hemd, das die dunkel behaarte Brust freilegte, knackenge, nicht so recht zu seinem sich langsam rundenden Bauch passende Jeans und als Höhepunkt der Inszenierung ein langfelliger Dreiviertelpelz, ebenfalls weit offen getragen.
Lenz konnte diesen »Don Olio« nicht ansehen, ohne an die Finca in Spanien zu denken. Seine fünf Prozent hatten ihm die Krankenversicherten bezahlt, denn selbstverständlich war dieses Schmiergeld im Verkaufspreis mit drin; Willgruber & Dietz hatte nichts zu verschenken. Dr. Nabel aber schien das für »business as usual« zu halten, seine wertvollen Dienste waren schließlich nicht kostenlos zu haben.
Als er das erste Mal von diesem Eine-Hand-wäscht-die-andere-Geschäft gehört
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