Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet
sich bei seinem Geständnis so hartnäckig ausgeschwiegen hatte. Sowohl die zeitliche Distanz als auch bereits durchgeführte therapeutische Maßnahmen gaben mir Anlass zu der Hoffnung, dass der dreifache Mörder sich vielleicht ein Stück weit öffnen würde.
Zum einen wollte ich insgesamt besser verstehen, weshalb Herbert Ritter die drei Frauen getötet hatte. Gleichzeitig wollte ich auch mehr über die einzelnen Phasen seiner Taten erfahren: Phantasieentwicklung, latente Tatbereitschaft und tatauslösende Faktoren, Tötung, Nachtatverhalten. Dass es Phantasien geben musste, hatte ich aus den Spuren am Tatort und an der Leiche lesen können. Das war keine neue Erkenntnis, denn in seinem Aufsatz über Peter Kürten hatte Ernst Gennat bereits festgestellt: »Auch ein Lustmörder entwickelt sich nicht von einem Tag zum anderen – seine Taten stellen vielmehr erst den Höhepunkt und den Abschluss einer gewissen Vorgeschichte dar.«
Im Jahre 2004 suchte ich Herbert Ritter das erste Mal in der Forensik auf. Weitere Besuche folgten in den nächsten Jahren. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartete. Gut möglich, dass er mich mit fadenscheinigen Erklärungen abspeisen oder nicht mehr preisgeben würde als knapp anderthalb Jahrzehnte zuvor. Tatsächlich war er anfangs zurückhaltend, doch dann begann Herbert Ritter, sich langsam zu öffnen. Schon bald erzählte er freimütig von seiner sexuellen Entwicklung und seinen Phantasien. So erhielt ich Einblick in seine bizarre und morbide Vorstellungswelt, auch wenn seine Beschreibungen und Analysen natürlich Lücken enthielten: Häufiger hatte ich allerdings das Gefühl, dass er einen Teil der Wahrheit für sich behielt. Er erlaubte mir jedoch ausdrücklich, darüber in diesem Buch zu schreiben.
Herbert Ritters Lebensmittelpunkt in der forensischen Psychiatrie liegt mitten im Park eines großen Krankenhauses. Das im Bauhausstil als Kubus gebaute Eingangsgebäude ist in einem warmen Terrakottaton gestrichen. Nichts deutet im ersten Moment darauf hin, dass dort und in den beiden geweißten Nebengebäuden auf richterlichen Beschluss in acht Stationen über hundertzwanzig Patienten leben: keine Gitter vor den Fenstern, kein Stacheldraht, stattdessen raumhohes unzerstörbares Sicherheitsglas. Bis auf eine Handvoll Frauen sind hier vor allem Männer untergebracht, die getötet, Kinder missbraucht, Frauen vergewaltigt oder Brände gelegt haben und hier auf unbestimmte Zeit therapiert werden sollen. Zu den Patienten zählen auch Suchtkranke, die aus ihrer Alkohol-oder Drogenabhängigkeit heraus straffällig wurden. Bis zu zwei Jahre dauert normalerweise deren Behandlung.
Erst auf den zweiten Blick nimmt man die fünf Meter hohe Betonmauer wahr, die erdfarben gestrichen und von Rosenbeeten und Hecken umsäumt ist. Sie schließt sich übergangslos an die Nebengebäude an, schottet die Innenhöfe der Patienten ab und bietet ihnen gleichzeitig Schutz vor neugierigen Blicken der Öffentlichkeit.
Immer wenn ich zu Herbert Ritter wollte, musste ich zunächst die Sicherheitsschleuse passieren, meinen Ausweis und das Handy abgeben. Der hinter Panzerglas sitzende Pförtner schob mir im Gegenzug durch eine Lade den Besucherausweis zu. Wie jeder Besucher wurde auch ich genauestens kontrolliert. Nach dem Passieren des Metalldetektors durfte ich den Besucherraum betreten: ein heller und freundlicher Raum mit einem Tisch und drei Stühlen. Dann ein wiederkehrendes Ritual: Ein Pfleger brachte den Patienten für ein bis zwei Stunden zum Gespräch. Wie ich später erfuhr, waren unsere Gespräche eine willkommene Abwechslung für ihn im Patientenalltag. Als ich ihn das erste Mal besuchte, war ich seit nahezu zwei Jahren sein erster Besuch.
Herbert Ritter war in den vergangenen Jahren noch fülliger geworden. Er wog gut 125 Kilo und wirkte stark gealtert. Seine Haut war stumpf, die sehr kurz geschnittenen Haare waren mittlerweile silbergrau. Insgesamt machte er einen müden, fast leblosen Eindruck. Nur ab und zu erkannte ich während unserer Gespräche ein Funkeln in seinen Augen. Dann, wenn er für kurze Momente über ein Leben in Freiheit sprach. Doch sein schüchterner Blick war geblieben. Wie damals bei der Vernehmung konnte er keinen Augenkontakt halten. Ich überlegte, was in seinem Kopf vorging und ob er mich für seinen Zustand verantwortlich machte. Als ich ihn direkt danach fragte, antwortete er ohne zu zögern mit nein.
Dann erzählte Herbert Ritter von seinem Alltag:
Er lebt auf einer
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