Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet
Station mit achtzehn persönlichkeitsgestörten Patienten, die wie er schwere Verbrechen begangen haben. Sein Tagesablauf ist reglementiert mit Einzel-und Gruppengesprächen, Körper-und Bewegungstherapie, Arbeitstherapie in der Tischlerei, bei der er 80 Cent die Stunde verdient. Die Arbeit gefällt ihm. Doch er sorgt sich, dass der Hospitalismus ihn – ähnlich wie ein Tier im Zoo – abstumpfen könnte.
Vielleicht war diese Furcht auch ein Grund dafür, dass er sich überhaupt mit mir über seine Taten unterhalten hat. Nicht nur äußerlich, sondern auch in seiner Persönlichkeit hatte sich Herbert Ritter in den letzten Jahren sehr verändert. Er wirkte auf mich differenziert und hatte sich die Terminologie seiner Therapeuten angeeignet. Und er hatte Angst. Angst, noch viele Jahre – wenn nicht gar sein ganzes Leben – in der Forensik verbringen zu müssen.
Noch bevor ich meine Fragen stellen konnte, wollte er allerdings über sein Leben vor den Morden und der Verurteilung erzählen, vor allem über seine Kindheit und Jugend. Damit ich ihn und die Gründe für seine Taten »besser verstehen« könnte. Das deckte sich mit meinen eigenen Absichten, deshalb war ich sofort mit seinem Vorschlag einverstanden.
Herbert Ritter wächst als jüngstes von vier Kindern bei seinen Eltern auf. Seine wichtigste Bezugsperson ist seine Mutter, deren Autorität ihn beeindruckt und gleichzeitig einschüchtert. »Ich hab in Erinnerung, dass ich ein normales, aufgeschlossenes Kind war, das sich was zugetraut hat. Allerdings weiß ich schon aus frühester Kindheit, dass ich mich nur in den Grenzen der von meiner Mudder aufgestellten Regeln bewegen durfte. Sie war die Strenge, die Reglementierende, die wenig Freiraum Lassende, während mein Vater keine große Rolle bei der Erziehung spielte.«
Mir fiel auf, jedes Mal, wenn Herbert Ritter von seiner »Mudder« sprach, veränderten sich sein Verhalten und seine Gestik: Seine ansonsten ruhige, leise Stimme mutierte zu hohen Fisteltönen, seine stoische Körperhaltung wich zusammengekniffenen Augen sowie fahrigen Bewegungen seiner Hände und Arme.
Wegen eines Sprachfehlers verbringt Herbert Ritter die ersten beiden Schuljahre auf einer Sonderschule und wechselt dann auf die Volksschule, wo ihn seine Mitschüler wegen seines Stotterns hänseln und ihn meiden, weil er angeblich stinkt. »Ich zog mich zurück und begann mir eine geistige Welt aufzubauen.« In seinen Tagträumen kann er »ein ganz anderer Herbert« sein, den seine Mitschüler akzeptieren. In seiner Scheinwelt wird er auch zum Brandstifter und unternimmt zaghafte Versuche, diese Gedanken beim Kokeln in der Wohnung in die Realität umzusetzen.
Je älter Herbert Ritter wird, desto mehr bekommen seine Phantasien manische Züge: »Ich blieb immer still. Jahrelang! Habe mich nicht gewehrt, doch in meinem Inneren brodelte es: Mit elf, zwölf Jahren entwickelte ich die Idee, mich an den Schulkameraden zu rächen, sie zu fesseln, in einen Graben zu legen und sie zu quälen. Sie dafür zu bestrafen, was sie mir angetan hatten.«
Fortan sieht er sich vor seinem geistigen Auge als Einzelkämpfer, als Rambo, der überall dabei ist und vor nichts Angst hat. Nicht nur in seiner Scheinwelt versucht Herbert Ritter, seinem Vorbild nahezukommen. Er entwickelt eine Vorliebe für Actionfilme, trainiert Bodybuilding und interessiert sich leidenschaftlich für schnelle Autos und Motorräder.
Ich fragte Herbert Ritter, ob seine Machtphantasien schon damals mit Sexualität einhergingen. Doch er verneinte meine Frage und erklärte, dass sich die Kombination von Machtausübung und Sex erst nach und nach entwickelte: »Zunächst ging es mir nur darum, zu quälen: Alte Frauen. Aber es war nicht der Körper der alten Frau, der mich angemacht hat. Es ging allein darum, dass ich Gewalt ausübte und die Macht hatte. Ich erfand ein Szenario nach dem anderen: Haut verbrennen oder verbrühen, Besenstiele in die Scheide stecken.«
Die Gewaltphantasien bestimmen ab diesem Zeitpunkt seinen Tagesablauf. Mit dreizehn Jahren beginnt er zu onanieren: meistens mehrmals am Tag. Herbert Ritter merkt, dass es so nicht weitergehen kann, und will aus seiner Isolation ausbrechen. Mit fünfzehn Jahren, die Hauptschule hat er gerade mit befriedigenden Leistungen beendet und eine Lehrstelle als Tischler gefunden, beginnt er mit dem Trinken: zunächst Bier und Likör, später auch Hochprozentiges. Nur angetrunken fühlt er sich wohl und hat keine Scheu, sich mit anderen
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