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Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet

Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet

Titel: Auf Der Spur Des Boesen - Ein Profiler berichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Petermann
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scheinbar besorgt, hatte er andererseits erst auf Druck seiner Schwiegereltern die Polizei informiert. Ein Verhalten der Unentschlossenheit, das ich bereits kannte und später noch einige Male bei ähnlich gelagerten Taten erleben sollte: Täter, die spontan, also aus der Situation heraus, einen ihnen nahestehenden Menschen getötet haben und quasi aus dem Stand gegenüber Familie und Freunden dessen plötzliches Verschwinden erklären müssen, befinden sich in einem Erklärungsnotstand. Zwar legen sie für Außenstehende bei ihrer vermeintlichen Suche einen beeindruckenden Aktivismus an den Tag, doch meiden sie gezielt diejenigen, die ihnen am meisten helfen könnten, wären sie denn tatsächlich auf der Suche: die Polizei. Erst wenn Freunde und Familie trotz aller Erklärungsversuche, Suchinszenierung und Verzögerungstaktiken langsam Verdacht schöpfen und auf eine Anzeige drängen, sehen die Täter nur noch einen Ausweg aus dem Dilemma: Sie fügen sich dem Unvermeidlichen und erstatten eine Vermisstenanzeige. Gegenüber den Beamten spinnen sie die begonnene Lügengeschichte weiter, produzieren manchmal sogar Lebensbeweise und – begehen dabei zwangsläufig Fehler. Fehler, wie sie bei jeder Inszenierung vorkommen. Ist die Polizei jedoch erst einmal eingeschaltet, verlieren die Täter die Herrschaft über ihre Inszenierung, da die Beamten die Plausibilität der Angaben überprüfen und dabei zwangsläufig auf Logikbrüche stoßen.
    Davon war bei der Vernehmung des fast fünfunddreißigjährigen Mannes zunächst nichts zu spüren. Sosehr ich auch darauf achtete, Michael Roth zeigte sich selbstbewusst und ließ keine Schwachstellen erkennen bei der Schilderung seiner Anstrengungen, seine Frau zu finden. Letztlich war es gerade diese Souveränität, die meine Zweifel bestärkte, zumal ich seine Sorge als beinahe geschäftlich und routiniert empfand – ohne tatsächliche Empathie. Michael Roth sprach von großen Missverständnissen in der Ehe, räumte Streitigkeiten ein, machte den großen Altersunterschied von über zehn Jahren für das Scheitern der Beziehung verantwortlich, schilderte den beruflichen Erfolg seiner Frau und versuchte seine eigene Stagnation im Job zu erklären. Auch versäumte er nicht, darauf hinzuweisen, dass er am Vorabend ihres Verschwindens noch eine Aussprache mit seiner Frau über gemeinsame Zukunftsperspektiven gehabt habe und sie beinahe noch miteinander geschlafen hätten. Er sei derjenige gewesen, der diese Situation nicht habe ausnutzen wollen und sich deswegen verweigert habe. Deshalb könne es auch gar nicht sein, dass seine Frau einen anderen habe. Dieser selbstlose Verzicht war für mich eine weitere Diskrepanz in seinem Verhalten: Wie viele Männer würden in einer vergleichbaren Situation auf einen »Versöhnungsbeischlaf« verzichtet haben? Weiterhin zählte er mir nahezu minutiös auf, was er wann und wo unternommen habe. Eigentlich hatte er nach seinen Schilderungen alles getan, was jemand bei der Suche nach seiner Frau tun konnte. Mit einer Ausnahme: Er hatte nicht in ihrem Büro nachgesehen, ob es dort Hinweise auf ihren Aufenthaltsort gab.
    Also bat ich meine Kollegen, dorthin zu fahren. Als ich wenig später einen Anruf erhielt, unterbrach ich die Vernehmung und fuhr zum Tatort.
    Meine Kollegen hatten die Tür verschlossen vorgefunden und sie von einem Schlüsseldienst öffnen lassen. Das Büro war von den anderen Räumlichkeiten der Firma abgetrennt, deshalb war niemandem etwas aufgefallen. Als ich eintraf, lag Angelika Roth rücklings auf einem Schreibtisch. Sie war erdrosselt worden. Ein Gürtel, der zu den Drosselspuren am Hals passte, lag direkt neben der Toten. Zudem hatte der Täter ihren Kopf mehrmals so heftig auf die Schreibtischplatte geschlagen, dass die Kopfschwarte bis zum Schädelknochen aufgeplatzt war. Für mich ein Hinweis auf eine spontane eruptive Gewalt, wie sie auch für Beziehungstaten typisch ist. Spuren für ein anderes Motiv fanden wir nicht: Die Kleidung war geordnet – kein hochgeschobener Rock, keine aufgerissene Bluse oder sonstige Anzeichen für ein Sexualdelikt –, die vorhandene Handtasche enthielt Wertsachen, was einen Raubmord nahezu ausschloss, und das Büro wirkte nicht durchsucht.
    Das Ergebnis der anschließenden Spurensuche war eher ernüchternd: keine verwertbaren Spuren, außer den deutlich zu erkennenden Blutspuren – alle vom Opfer –, fanden meine Kollegen im Papierkorb zwischen der Geschäftspost vom Tage ihres Verschwindens

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