Auf der Suche nach dem Auge von Naga: Roman (German Edition)

kann ich sie nicht beantworten.«
    Burton schenkte für sie alle Brandy ein, auch für die Frauen. Die Männer zündeten sich ihre Zigarren und Pfeifen an, viele mit einem unruhigen Blick zum Zeltdach, das unter dem Ansturm des Regens heftig vibrierte.
    Schwester Raghavendra verteilte kleine Röhrchen mit einer klaren Flüssigkeit und bestand darauf, dass alle sie ihren Getränken beimischen mussten. »Das ist ein Spezialrezept, das wir bei der Schwesternschaft der Edlen Mildtätigkeit benutzen, um Fieber zu bekämpfen«, erklärte sie. »Keine Sorge, es ist geschmacklos.«
    »Was ist da drin?«, wollte Honesty wissen.
    »Eine Mischung aus Chinin und verschiedenen Kräutern«, antwortete die Schwester. »Man wird damit zwar nicht immun, aber die Schübe werden kürzer und greifen die Gesundheit weniger an.«
    Plötzlich flog die Zeltklappe auf, und ein durchnässter Kobold sprang herein.
    »Schurken!«, kreischte er. »Flegel! Unmenschen! Verräterische Hunde! Trinken die doch einfach ohne mich! Aaaiiii!«
    Die Erscheinung sprang zum Tisch, schnappte sich mit wild rollenden Augen die Brandyflasche und trank einen ausgiebigen Schluck. Mit einem Pochen stellte sie die Flasche wieder hin, wischte sich den Mund am Ärmel ab, ließ ein zufriedenes Seufzen vernehmen, rülpste, kippte dann um wie ein gefällter Baum und landete ausgestreckt auf dem Rücken.
    »Grundgütiger! Ist das Algernon?«, rief Herbert Spencer.
    Schwester Raghavendra bückte sich neben der triefnassen und zerzausten Gestalt und legte ihr eine Hand auf die Stirn. »Er ist es«, bestätigte sie. »Doch ungeachtet dieser Vorstellung scheint er kein Fieber zu haben.«
    Burton hob seinen Gehilfen hoch und trug ihn zu einer Pritsche auf einer Seite des Zelts. »Algy neigt von Haus aus zu einem Auftreten, das die meisten Menschen als fieberhaft betrachten würden«, sagte er. »Ich denke, in diesem Fall hat er lediglich die eigene Kraft überschätzt.«
    »So ist es«, gab ihm Schwester Raghavendra recht. »Jeder andere Mann würde eine Woche brauchen, um sich von einem Blutverlust zu erholen, wie Algernon ihn erlitten hat.«
    »In dem Fall wird Algy höchstens noch einen oder zwei Tage brauchen, denn er mag vieles sein, aber er ist ganz bestimmt nicht wie jeder andere Mann.«
    Sie trockneten ihren Freund ab, so gut sie konnten, machten es ihm bequem und ließen ihn schlafen.
    Schließlich hörte der Regen so unvermittelt auf, wie er eingesetzt hatte, und die Stille einer weiteren afrikanischen Nacht senkte sich auf die Reisenden herab. Schweigend saßen sie da und genossen die gegenseitige Gesellschaft, zu müde für eine Unterhaltung.
    In der Ferne ertönte das Gelächter von Hyänen.
    Aus dem Dorf drang ein Ruf.
    Ein Trommelschlag setzte ein.
    Dann ein weiterer.
    Plötzlich erfüllte ein tiefes, rhythmisches Pulsieren die Luft, als etliche Trommeln geschlagen wurden. Von draußen rief die Stimme eines Jungen nach ihnen.
    Burton trat vor das Zelt. Ein ungefähr zehnjähriges Kind grinste zu ihm empor.
    »Oh Murungwana Sana «, sagte der Junge, »das Feuer ist angezündet, das Fleisch kocht, und die Frauen wollen tanzen. Die Männer wünschen Neuigkeiten aus den weit entfernten Gefilden des Muzungu zu hören, des weißen Mannes. Macht ihr uns eure Aufwartung?«
    Burton verneigte sich. »Wir begleiten dich unverzüglich.«
    Und so begab es sich, dass der erste Tag der Expedition miteinem Festmahl und einer Feier endete, an der alle außer dem Philosophen Herbert Spencer und dem Dichter Algernon Swinburne teilnahmen.
    Im Zelt stellte der Messingmann einen Hocker neben die Pritsche, nahm darauf Platz, beugte sich vor und stützte sich an seinem Stock ab. Tief in den Schatten seiner Kufiya schien sein Metallgesicht unbeirrt Burtons Gehilfen zu betrachten.
    Swinburne träumte von Krieg.



Die Schlacht von Dut’humi
    Plündern, morden, rauben nennen
sie mit falschem Namen ›Imperium‹,
und wo sie eine Wüste schaffen,
nennen sie es Frieden.
    TACITUS
    W armer Regen prasselte auf Burtons Blechhelm und ergoss sich über dessen Rand auf den Rücken seines Paletots. Eine Explosion ließ ihn vorübergehend taub werden, schleuderte ihn auf Hände und Knie und bespritzte ihn mit Schlammklumpen und Brocken blutigen Fleisches. Das schwarze Wasser am Boden des gefluteten Schützengrabens sog an seinen Gliedern, als wäre die Erde begierig auf eine weitere Leiche.
    Ein Kopf trieb an die Oberfläche. Das halbe Gesicht fehlte. Erschrocken zuckte Burton zurück, rappelte