Auf der Suche nach dem Auge von Naga: Roman (German Edition)
Thomas Honesty, Maneesh Krishnamurthy, Herbert Spencer, Schwester Raghavendra, Isabella Mayson und Isabel Arundell mit ihm zusammen den afrikanischen Kontinent bereist hatten. Allerdings wusste ernicht mehr, aus welchem Grund. Er hatte auch keine Ahnung, was aus ihnen geworden oder wie man ihn, Burton, in die Zukunft befördert hatte.
Seit vier Jahren hielt er sich nun schon hier auf.
Seit vier Jahren …
Zu welchem Zweck?
»Warum?«, fragte Lettow-Vorbeck in Burtons Gedanken hinein.
Burton schlug die Augen auf und begegnete dem Blick des Generalmajors. Hinter dem Kopf des Offiziers fielen bleistiftdünne Lichtstrahlen durch die Latten des Fensterladens. Staubpartikel erstrahlten kurz und verschwanden im Schatten. Bei dieser Beleuchtung wirkten Lettow-Vorbecks Züge sehr dunkel, beinahe wie eine Silhouette, doch durch irgendeine Eigenart leuchteten seine Augen mit einer geradezu animalischen Intensität.
»Warum was?«
»Warum seid ihr Briten so zerstörerisch? Glaubt ihr nicht an die Evolution?«
»Evolution? Wie meinen Sie das?«
Der Offizier trommelte mit den Fingern der rechten Hand auf der Tischplatte.
»Das deutsche Reich ist bestrebt, die menschliche Spezies vorwärtszubringen. Wir möchten jeden Mann und jede Frau von Sklaverei befreien, damit alle ihr größtmögliches Potenzial ausschöpfen können. Damit jeder ein Übermensch werden kann.«
Burton schnaubte verächtlich. »Ich glaube kaum, dass Ihre Askaris sich sonderlich frei fühlen.«
»Stimmt. Und das ist die Schuld Ihres Volkes. Wir sind gezwungen, diese Afrikaner einzusetzen, um uns gegen die britischen Sturmangriffe auf die Infrastruktur zu wehren, die wir hier aufbauen. Ohne Ihr Volk würde Afrika mittlerweile über atmosphärische Eisenbahnen und gut entwickelte Städte verfügen. Und Europa wäre ein Paradies, in dem banale Aufgaben und die Notwendigkeiten des Überlebens von der Pflanzenwelt übernommen werden, damit die menschliche Spezies ungehindert ihr volles Potenzial erkunden kann. Stattdessen müssen wir unsere Ressourcen auf beiden Kontinenten dafür einsetzen, euren Vandalismus zu bekämpfen.«
Burtons Atem pfiff zwischen seinen Zähnen hindurch. »Es ist doch immer dasselbe«, sagte er. »Ein Wahnsinniger stellt einen Plan für die Zukunft der Menschheit auf und verursacht bei dessen Umsetzung unsägliches Leid. Generalmajor, muss ich Sie wirklich darauf hinweisen, dass sich Ihre Pflanzen unkontrolliert ausbreiten? Oder dass viele Menschen durchaus in der Lage wären, mehr aus sich zu machen, die meisten aber damit zufrieden sind, genug zu essen und ein Dach über dem Kopf zu haben?«
Lettow-Vorbeck nickte nachdenklich. »Es trifft zu, was Sie über unsere Pflanzen sagen. Aber das wird korrigiert, sobald die Feindseligkeiten enden. Was Ihre Andeutung angeht, dass die Bevölkerung nicht willens oder in der Lage wäre, sich weiterzuentwickeln – dem kann ich nicht beipflichten. Das ist eine typisch britische Denkweise, denn ihr habt euer Empire auf der Prämisse aufgebaut, dass eine gebildete und privilegierte Minderheit von der harten Arbeit einer geknechteten Mehrheit profitieren soll.«
Plötzlich ließ Lettow-Vorbeck die Hand auf das dicke Dossier niedersausen, das vor ihm lag. »Lassen Sie uns auf den Punkt kommen! Genug um den heißen Brei herumgeredet.« Er stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch und legte die Finger vor dem Gesicht aneinander. »Ich kenne die Wahrheit. Ihr Name ist nicht Frank Baker. Sie sind Sir Richard Francis Burton. Sie wurden im Jahr 1821 geboren. Sie sind im Jahr 1890 gestorben. Und sie wurden aus dem Jahr 1863 ins Jahr 1914 geschickt. Ein außerordentlicher Umstand! Unglaublich!«
Jäh nahm Burton eine aufrechte Sitzposition ein. Seine Erschöpfung fiel schlagartig von ihm ab.
Lettow-Vorbeck setzte ein verhaltenes Lächeln auf. Seine Zähne traten weiß aus dem Schatten seines Gesichts hervor. »Sehr gut, sehr gut, Herr Burton. Jetzt habe ich Ihre volle Aufmerksamkeit.Sie hören mir zu, ja? Ich habe Ihnen eine Geschichte zu erzählen. Aber zuerst eine Frage: Besitzen Sie telepathische Fähigkeiten?«
»Telepathische Fähigkeiten? Nein.«
»Ich auch nicht. Bedauerlich. Ich hätte gerne welche. Aber Ihnen ist bewusst, dass viele Menschen sie haben, oder? Und in wachsender Zahl, wie es scheint. Ihr Colonel Crowley hat seine Leute – und sie sind stark –, während wir Deutschen unsere Wetterwirker und natürlich den Kaiser selbst haben. Er ist der größte Gedankenleser
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