Auf der Suche nach dem Auge von Naga: Roman (German Edition)
flehentlich die Hände aus. »Bitte!«
»Völlig unmöglich. Stehen Sie auf, Mr. Speke, und schweigen Sie still. Sie sind erst in der letzten Strophe für das Lied erforderlich.«
»Aufgabe?«, fragte Burton.
K’k’thyima ergriff ein tödlich aussehendes Messer von den Instrumenten auf dem nahen Block.
Trounce trat vor.
»Zurück, William! Ich habe nicht vor, Ihrem Freund etwas anzutun. Sehen Sie, ich entledige mich jetzt des Revolvers«, er legte die Waffe neben Burtons Kopf, »aber ich schlitze ihm die Kehle auf, wenn Sie näher kommen.«
Trounce biss sich auf die Unterlippe und nickte knapp. Er kehrte an seine vorherige Position zurück.
Der Messingmann packte in Burtons Haar und schnitt es mit flinken Bewegungen ab.
»Sie besitzen einen höchst bemerkenswerten Geist, Sir Richard«, sagte er. »Als Sie bei Ihrer ersten Expedition in den Einflussbereich dieses Diamanten geraten sind, erkannten wir sofort, dass Sie der Weichhäutige waren, auf den wir gewartet hatten.«
Burton zuckte zusammen, als die Klinge über seine Kopfhaut schabte.
Der Priester fuhr fort: »Jemand mit einem offenen und forschenden Intellekt; ein Beobachter mit hinlänglichem Abstand zu seiner eigenen Kultur, um die Sitten und Gebräuche anderer zu verinnerlichen; jemand, der sich nicht von Ungewöhnlichem oder Unbekanntem aus der Fassung bringen lässt.«
»Warum ist das von Bedeutung?«
K’k’thyima entfernte die letzten Haarsträhnen vom Kopf des Entdeckers. »William, Mr. Speke«, sagte er, »ich habe nun eine heikle Operation vorzunehmen. Stören Sie mich dabei nicht. Wenn Sie etwas versuchen, stirbt er, und Sie wird dasselbe Schicksal ereilen. Ist das klar?«
Beide Männer nickten.
Der Uhrwerkmann legte das Messer ab und ergriff eine kleine Schale. Sie war teilweise mit einer klebrigen Paste gefüllt.
»Hervorragend!«, rief der Priester. »Die Batembusi haben alles gut vorbereitet.«
Er tauchte die Schale in einen Kelch, schöpfte schwarzen Diamantenstaub hinein und benutzte ein kleines Werkzeug, um den Staub mit der Paste zu vermengen. Dann humpelte er zum vorderen Ende des Altars und benutzte dasselbe Instrument, um eine komplizierte Hieroglyphe auf Burtons kahle Kopfhaut zu malen.
»Es ist deshalb von Bedeutung, Sir Richard, weil es Ihnen das nötige Rüstzeug gibt, um nicht den Verstand zu verlieren, wenn Sie Geschichte jenseits der Grenzen Ihrer natürlichen Lebensdauer erfahren.«
»Jenseits der …«, setzte Burton an. Unvermittelt verstummte er, und seine Augen weiteten sich. »Du hast doch nicht etwa vor, mich durch die Zeit zu schicken.«
»Genau das.«
Der Nāga-Priester malte das Symbol zu Ende, stellte die Schale beiseite und drehte das Instrument um, das er hielt. Das andere Ende erwies sich als nadelspitz.
»Das wird wehtun«, warnte er und stieß die Spitze wieder und wieder in Burtons Haut, wobei er so schnell arbeitete, dass seine Hand ein verschwommener Schemen wurde.
Burton stöhnte und krümmte sich vor Schmerzen.
»Zeit, Sir Richard. Zeit. Zeit. Zeit. Ihr Weichhäutigen habt eine so begrenzte Vorstellung davon. Ihr denkt, dass sie einem Herzschlag entspricht, dass sie regelmäßig pulsiert, dass sie von A über B nach C verläuft. Aber Zeit hat viele andere Aspekte als Rhythmus und Abfolge. Sie besitzt eine Melodie mit Refrains, die anschwellen und abschwellen und erneut anschwellen. Zeit kann ihre Tonlage, ihre Klangfarbe und ihren Aufbau verändern. Zeit verfügt über Lautstärke, über Akzente und Pausen, über Strophen und Kehrreime. Euer Verständnis von der Zeit ist horizontal, aber sie besitzt auch vertikale Aspekte.«
William Trounce schnaubte. »Selbst wenn all der Kauderwelsch wahr ist – was soll’s?«
»Nur so viel, Detective Inspector: Wenn sich die Wellen der Konsequenzen von einer gesetzten Handlung ausbreiten, tun sie es in alle Richtungen, nicht nur nach vorne, wie ihr Weichhäutigen glaubt. In alle Richtungen.«
»Quatsch mit Soße!«
K’k’thyima richtete sich auf. »Haben Sie ein Taschentuch?«
Trounce schüttelte den Kopf, aber Speke griff in seine Tasche, zog ein Tuch daraus hervor und reichte es dem Uhrwerkpriester. K’k’thyima benutzte es, um Blut und überschüssige Paste von der frischen Tätowierung des Entdeckers abzuwischen.
»Vollbracht«, verkündete der Nāga und ergriff den Revolver. »Wir schicken unseren Freund Sir Richard Francis Burton nun in die Zukunft, wo er die Musik der Zeit in all ihrer Pracht bezeugen wird. Es ist ein Geschenk
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