Auf der Suche nach dem Auge von Naga: Roman (German Edition)
an Alkohol zählte. Swinburnes Unfähigkeit, zu beurteilen, was ihm schaden konnte, machte ihn zu einem der mutigsten Männer, denen Burton je begegnet war, aber auch zu einem der Selbstzerstörerischsten.
»Folgen Sie uns, Mr. Keller«, rief Trounce. »Ich will Sie im Auge behalten.«
Keller protestierte zwar – »Keine Bange, ich mach schon nix!« –, mühte sich aber hinter seinen ungebetenen Besuchern die Stufen hinauf und ächzte von der Anstrengung.
Pimlicos Wohnung bestand aus einem kombinierten Schlaf- und Wohnraum sowie einer Küche. Sie stank nach ranzigem Schmalz und Speck und war offenkundig seit Langem nicht mehr geputzt worden. Abgetragene Kleidung lag auf dem Boden verstreut. Ein Porzellanwaschbecken mit schmutzigem Wasser und einem dicken Drecksaum um den inneren Rand stand auf einem Frisiertisch vor einem gesprungenen Spiegel. Daneben lagen ein Rasiermesser und ein fleckiges Stück Seife. Das durchhängende Bett war nicht gemacht, auf einem Stuhl türmten sich Wettscheine von der örtlichen Hunderennbahn, und unter dem Fenster stapelten sich Ausgaben des Leeds Enquirer .
Swinburne und Keller hielten sich zurück, als Burton und Trounce die Räume durchsuchten.
»Ein Notizbuch!«, rief der Mann von Scotland Yard und ergriff ein kleines, gebundenes Büchlein vom Bett. Seite für Seite blätterte er es durch. »Nur Wetten auf Hunde. Dieser Pimlico war ein Spieler.«
»’n Verlierer war er«, meldete Keller sich zu Wort. »Hat jeden verdammten Penny verspielt, den er verdient hat. War fast immer spät mit der Miete dran.«
»Wo war er beschäftigt?«, fragte Burton.
»In der Pride-Manushi-Fabrik. Hat dort Velozipedteile verpackt, die sie rüber zum Verkaufen nach Deutschland schicken. Aber vor vierzehn Tagen hamsen rausgeschmissen, weil er beim Klauen erwischt wurde.«
Burton zog die Augenbrauen hoch. »Was ist passiert?«
»Is’ durch ’n Fenster vom Cat n’ Fiddle eingestiegen, hat sich ’n paar Pullen Whiskey gekrallt und is’ rausgesprungen, direkt in die Arme der Polizei. Hat ’ne Nacht im Loch gepennt.«
Trounce runzelte die Stirn. »Nur eine Nacht? Für einen Einbruch in ein öffentliches Gebäude?«
»Aye.«
»Wo wurde er festgehalten?«
»Polizeirevier Farrow Lane.«
Kurze Zeit später rief Detective Inspector Trounce nach Burton, der die Küche durchsuchte. »Captain, Ihre Meinung bitte.«
Trounce zeigte auf die nackten Holzdielen in der Nähe des Fensters. Burton ging zu ihm, schaute auf die Stelle und sah einen kleinen Klumpen von irgendetwas Schwärzlichem, Faserigem. Er kauerte sich hin, zog einen Bleistift aus der Tasche, stocherte mit der Spitze in der getrockneten Substanz und hob sie sich an die Nase. Angewidert zuckte er zusammen. »Stinkt nach Zahnfäule … und noch etwas anderem. Mr. Keller, hat Pimlico Kautabak benutzt?«
»Nee. Hat Ogden’s Flake gequalmt, genau wie es.«
Burton richtete sich auf und drehte sich Trounce zu. »Ich habe eine Studie über Tabak-Aromen erstellt. Ich bin sicher, dass es sich um Kautabak handelt, eine preußische Marke. In England nicht erhältlich, soviel ich weiß.«
»Und Sie glauben, dass der Tabak von dem Ausländer stammt? Dass unser Mörder ein Deutscher ist?«
»Genau das vermute ich.«
Sie verbrachten weitere zwanzig Minuten mit der Durchsuchung, fanden aber nichts mehr, das irgendwie von Nutzen sein konnte.
»Nun denn«, verkündete Trounce, »wir verlassen Sie jetzt, Mr. Keller.«
»Ich weine euch keine Träne nach«, brummte der Hauseigentümer. Als sie die Treppe hinunterstiegen, fügte er hinzu: »Übrigens, er hat damit gerechnet, dass er Zaster kriegt.«
Trounce hielt inne. »Wie bitte?«
»Pimlico. Er hat mit Zaster gerechnet – wollte mir zahlen, was er mir an Miete schuldet. Hat er jedenfalls gesagt.«
»Er sollte Geld bekommen? Woher?«
»Keen Dunst.«
Vor dem Haus schaute der Mann von Scotland Yard zum Himmel empor, der sich mittlerweile bedeckt und in einem fahlen Grau zeigte.
»Ab heute bin ich offiziell auf verlängertem Urlaub«, sagte er, »aber ich will verdammt sein, wenn ich diesen Fall sausen lasse.« Er wandte sich an Burton und Swinburne. »Nächster Halt, Farrow Lane. Ich will wissen, warum Pimlico aus der Haft entlassen wurde.«
Sie stiegen wieder auf ihre Fluggeräte und erhoben sich in die Lüfte. Erneut mussten sie einen Constable suchen, der ihnen den Weg beschrieb. Fünfzehn Minuten später landeten sie vor dem Polizeirevier. Burton und Swinburne warteten in
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