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Auf der Suche nach dem Auge von Naga: Roman (German Edition)

Auf der Suche nach dem Auge von Naga: Roman (German Edition)

Titel: Auf der Suche nach dem Auge von Naga: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Hodder
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erklingen, doch in den aufgesetzten Frohsinn mischten sich Trotz und Hass. Bei dem Lied handelte es sich um »Welch ein Freund ist unser Jesus«, doch der Text erwies sich als wesentlich bilderreicher als der des ursprünglichen Kirchenliedes:
    »Ist dieser lausige Krieg vorbei, nehm’ ich den Sold und bin dahin.
    Oh, was werd’ ich glücklich sein, steck ich erst in Zivilkluft drin.
    Vorbei ist’s dann mit Kirchparade, Ausgangspass und Dauermarsch,
    Sagt dem Spieß dann gleich von mir: ›Steck dir den Pass doch in den Arsch.‹«
    Danach hielt der fragliche Spieß den Männern drei Meilen lang eine Moralpredigt.
    Burton saß auf der Heckklappe des Krankenwagens und lehnte an der Seite der offenen Ladefläche. Er konnte nicht aufhören, sich zu kratzen.
    »Die menschliche Natur?«, hakte er nach. »Wie meinst du das?«
    Wells, der auf einer Bank unmittelbar hinter ihm hockte, antwortete: »Ich bin der Ansicht, dass wir eine angeborene Sehnsucht nach Erzählstruktur besitzen. Wir möchten, dass alles einen Anfang, einen Mittelteil und ein Ende hat. Dann verstehen wir es besser.« Er blickte auf Burton hinunter. »Wie viele Tage hat die Uniform gehalten, ehe sie verseucht war?«
    »Vier. Die Läuse fressen mich bei lebendigem Leib.«
    »Kopf hoch, alter Freund. Es könnte schlimmer sein. Fieber, Fußbrand, Ruhr, abgesprengte Beine   – all die Gefahren Afrikas in Zeiten des Krieges.«
    »Bismillah! Was macht ihr nur? Ihr habt aus einem Garten Eden eine Hölle erschaffen!«
    »Ist meine Generation dafür verantwortlich, Richard, oder deine? Die Menschen sagen, wir alle seien Produkte der Vergangenheit. Sie würden die Schuld für diesen Krieg ohne zu zögern ihren Vätern in die Schuhe schieben. Mit anderen Worten: Willkommen in der Welt, die ihr erschaffen habt.«
    »Von wegen! Keiner meiner Zeitgenossen hatte die Schaffung dieser Jahannam im Sinn!«
    »Wie du meinst. Übrigens stimme ich nicht mit der Philosophie überein, die man als Sequenzialismus bezeichnen könnte. So wie ich es sehe, besteht das Problem darin, dass wir das Wesen der Vergangenheit nicht richtig verstehen. Wir mythologisieren sie. Wir erschaffen Fiktionen über erfolgte Handlungen, um daszu rechtfertigen, was wir in der Gegenwart unternehmen. Wir schustern uns die Ursache so zurecht, dass sie besser zur Wirkung passt. In Wirklichkeit ist die Gegenwart ein heilloses Chaos, und so wird es immer sein. Es gibt keine Geschichte, keinen Plan. Wir sind Opfer des Zeitgeistes . Tut mir leid, dass ich ein Wort verwende, das von den Deutschen geprägt wurde, aber es scheint mir die einzig treffende Umschreibung zu sein. Bist du mit dem Begriff vertraut?«
    »Ja. Er bezieht sich auf das Milieu oder das soziopolitische Klima einer bestimmten Epoche.«
    »Richtig. Meiner Ansicht nach handelt es sich dabei um ein Phänomen, das unabhängig von der Geschichte ist. Die Geschichte erschafft keinen Zeitgeist   – wir erschaffen die Geschichte, um zu versuchen, den Zeitgeist zu erklären. Wir pressen sie in eine sequenzielle Erzählung, um Ereignisse mit etwas auszustatten, das einer Bedeutung ähnelt.«
    Der Krankenwagen ruckelte, als die Räder durch ein Schlagloch holperten. Burtons Kopf prallte gegen die Holzseite des Fahrzeugs.
    »Aua!«
    »Wie geht es deinem Arm?«, erkundigte sich Wells.
    »Tut weh. Was ist mit deinem Bein?«
    »Ist gebrochen. Wie steht es mit deinem Kopf?«
    »Halt den Mund.«
    »Nimm die Zigarre.«
    Der Kriegsberichterstatter reichte dem Entdecker, was von der »Hoffman« übrig war. Burton betrachtete den Stummel und murmelte: »Wenigstens deine Lunge ist gesund.« Er hob die Zigarre an die Lippen, inhalierte den süßen Rauch und genoss ihn, während er die Kolonne aus Männern und Fahrzeugen beobachtete, die sich durch die sanfte Hügellandschaft bewegte.
    Die Vorrats- und Krankenwagen wurden vorwiegend von Dampfrössern oder Ochsen gezogen. Auch ein paar räudig wirkende, nicht mechanische Pferde waren zu sehen, darunter Mega-Zugpferde, die riesige Artilleriegeschütze schleppten. Neben den Soldaten staksten Weberknechte einher, und Skorpionspanzer stapften durch den Staub, die Schwänze über den Kabinen eingerollt, während die Gewehre an ihren Enden langsam hin und her schwangen.
    »He, Gefreiter!«, rief Burton einem Briten in der Nähe zu. »Wo sind wir?«
    »Mittendrin bis hoch zur Stirn, Kumpel!«
    »Haha! Und geografisch?«
    »Ich hab nicht die leiseste Ahnung. Frag Kitchener!«
    »Wir sind fast da, Sir«, antwortete eine

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