Auf der Suche nach dem Auge von Naga: Roman (German Edition)
haben noch nie so geschmerzt«, stellte Trounce fest. »Nicht einmal, als ich noch Polizist auf Streife war.«
Herbert Spencer, der mit dem Rücken am Stamm einer Palme saß, beobachtete, wie Pox zu den Blättern hinaufflatterte. Der bunte Vogel ließ sich nieder und schlief ein. Der Uhrwerkphilosoph gab ein tutendes Geräusch von sich, bei dem es sich um ein Seufzen handeln mochte. »Auch wenn Sie sich beklagen, Mr. Trounce«, sagte er, »Sie sind wenigstens in den Genuss einer anständigen Mahlzeit gekommen. Ich bekomme heutzutage nur noch ’n Tröpfchen Öl auf meine Zahnräder und Federn, und davon krieg ich jedes Mal Magenverstimmung.«
Trounce antwortete mit einem lang gezogenen Schnarchen und drehte sich auf die Seite.
Frieden senkte sich über das Lager, und in die Stille hinein sagte Swinburne leise:
»Leben und Tod hier als Nachbarn stehen,
und fern von Auge und von Ohr
Wellen rollen und Winde wehen,
Schiffe segeln, Geister steigen empor.
Sie treiben umher, bald hier, bald dort,
wissen nicht um uns und kreuzen fort.
Aber keine solchen Winde kennt dies Land,
keine solchen Dinge hat es je gekannt.«
»Das ist wunderschön, Mr. Swinburne«, flüsterte Schwester Raghavendra.
Die Sonne stieg höher an den Himmel, die Hitze wurde schlimmer.
Drei Stunden verstrichen.
Sie waren zu erschöpft, um zu träumen.
Herbert Spencers in Polymethylen gehüllter, kanisterförmiger Kopf drehte sich langsam, bis die drei lotrechten Kreise seines Gesichts unmittelbar auf den Agenten des Königs wiesen. Etliche Minuten lang beobachtete er den schlafenden Mann. Kaum vernehmlich fiepten die Pfeifen an seinem Kopf: »Zeit, Boss, ist das, was ein Mann ständig totzuschlagen versucht, aber letzten Endes tötet sie ihn.« Dann wandte er den Blick ab und zischte: »Aber für uns kann allein Äquivalenz zu Zerstörung oder endgültiger Transzendenz führen.«
Reglos saß er da.
*
»Aufwachen! Aufwachen! Wir werden angegriffen!«
Herbert Spencers trompetende Stimme schreckte alle jäh aus dem Schlaf.
»Wir werden angegriffen! Wir werden angegriffen!«
»Was zum Teufel …« Trounce rappelte sich mühsam auf.
»Schnappen Sie sich Ihr Gewehr«, zischte Burton ihm zu. »Machen Sie schnell! Bewaffnen Sie sich! Wir müssen das Lager verteidigen!«
Er zuckte zusammen, als ihm bewusst wurde, dass er dieselben Worte 1855 in Berbera gesprochen hatte – an dem Tag, als ein Speer sein Gesicht durchbohrt hatte, als sein Freund William Stroyan getötet worden war und als John Speke ihn zu hassen begann.
Ein dumpfer Schlag ertönte, und Trounce ging zu Boden.
Ein wild aussehender Mann stieg über ihn hinweg und stießden Kolben eines Luntenschlossgewehrs nach Burtons Kopf. Der Agent des Königs lenkte den Hieb mit dem Unterarm ab, sprang vor und schmetterte die Faust in die Magengrube seines Angreifers. In diesem Augenblick legte sich von hinten ein Arm um den Hals des Entdeckers. Die Spitze eines Dolches berührte sein Gesicht knapp unter dem rechten Auge.
»Ganz ruhig«, raunte ihm eine raue Stimme ins Ohr. Burton erkannte die Sprache als Belutschi, eine Mischung aus Persisch und Kurdisch.
Er erstarrte, spannte den Körper im Griff des Mannes und beobachtete, wie Banditen seine Gefährten zusammentrieben. Es waren stämmige Männer mit furchterregenden Bärten und wallenden Gewändern, weiten blauen Hosen und bunten Schärpen um die Hüften. Bewaffnet waren sie mit Luntenschlossgewehren, Dolchen, Schwertern und Schilden.
Herbert Spencer, den sie offensichtlich als eine Art exotisches Tier betrachteten, wurde umzingelt und mit Seilen überworfen. Mit seiner enormen Kraft zerrte er die Angreifer bald hierhin, bald dorthin und riss sie von den Beinen, bis einer der Banditen sein Gewehr hob und auf ihn feuerte. Burton, der befürchtete, sein Freund könne beschädigt werden, rief: »Wehr dich nicht, Herbert!«
Der Messingmann verharrte regungslos. Seine Angreifer umwickelten ihn mit Seilen, bevor sie ihn an einen Baumstamm fesselten.
»Ziegenkitzler!«, kreischte Pox von irgendwo oben.
Burton wurde zu den anderen geschleift. Die beiden Frauen zerrte man beiseite. Die Arme auf den Rücken gefesselt mussten sie mit ansehen, wie die Männer nebeneinander aufgereiht und auf die Knie gedrückt wurden.
»Was soll das!«, rief Swinburne. »Was zum Teufel soll das werden? Bindet mich auf der Stelle los, ihr Halunken!«
Ein kräftig gebauter Krieger näherte sich dem zierlichen Dichter, blickte höhnisch auf ihn hinunter
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