Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
Vom Netzwerk:
sie zu besitzen.
    Swann ließ sich zu den letzten Restaurants fahren; der bloßen Hypothese des Glücks hatte er noch mit Ruhe entgegengesehen; jetzt aber verbarg er seine Unruhe nicht länger und verhehlte auch nicht, wie großen Wert er auf diese Begegnung legte: für den Fall des Erfolges versprach er seinem Kutscher eine Belohnung, als ob er, wenn er in diesem den Wunsch erweckte, sie zu finden – ein Wunsch, der damit seinen eigenen ergänzte –, es bewirken könnte, daß Odette, selbst falls sie schon nach Hause und schlafen gegangen war, sich doch in einem der Restaurants an den Boulevards befand. Er stieß bis zur Maison Dorée vor, ging zweimal zu Tortoni 1 hinein und kam schließlich, ohne sie getroffen zu haben, mit großen Schritten und düsterem Blick aus dem Café Anglais 2 heraus, um zu seinem an der Ecke des Boulevard des Italiens wartenden Wagen zu gelangen, als er auf eine Person stieß, die aus der entgegengesetzten Richtung kam: es war Odette; später erzählte sie ihm, sie habe, da sie bei Prévost keinen Platz gefunden hatte, in der Maison Dorée soupiert in einer Nische, wo er sie nicht hatte sehen können, und habe nun gerade zu ihrem Wagen gehen wollen.
    Sie war so wenig darauf gefaßt, ihn zu treffen, daß sie einen Augenblick lang wie erschrocken war. Er selbst aber hatte ganz Paris abgesucht, weniger weil er es fürmöglich gehalten hatte, sie doch noch irgendwo zu treffen, als weil es ihm zu schmerzlich war, darauf zu verzichten. Doch dieses Glück, von dem sein Verstand keinen Augenblick geglaubt hatte, daß es sich an diesem Abend einstellen könnte, kam ihm dadurch jetzt nur um so wirklicher vor; denn er hatte ja nicht durch das Vorhersehen von Wahrscheinlichkeiten daran mitgewirkt, es bestand ganz unabhängig von ihm; er mußte nicht in seinem Geiste Wahrheit suchen, um es damit auszustatten, nein, aus ihm selbst entsprang, aus ihm selbst strömte jene Wahrheit, die so hell leuchtete, daß die Furcht vor dem Alleinsein sich wie ein Traum auflöste, und auf dieser Wahrheit fußten nun, ruhten nun seine glückerfüllten Träume. So läßt ein Reisender, der bei schönem Wetter an die Küste des Mittelmeers gelangt ist und an der Existenz der Länder zu zweifeln beginnt, die er eben verlassen hat, seine Augen von den Strahlen blenden, die das leuchtende, kompakte Azurblau der Fluten ihm entgegenschickt, eher als daß er sie eigentlich betrachtete.
    Er stieg mit ihr in den Wagen ein, der auf sie wartete, und ließ den seinen hinterherfahren.
    Sie hielt einen Strauß Cattleyablüten in der Hand, und Swann sah durch ihr Spitzentuch hindurch, daß sie im Haar an einem Gesteck aus Schwanenfedern die gleichen Blumen trug. Unter ihrem Abendmantel hatte sie ein fließendes schwarzes Samtkleid an, das dank einer schrägen Raffung als weites Dreieck den unteren Teil eines weißen Faillerocks zeigte und den Blicken auch den Einsatz, ebenfalls aus weißer Faille, an der Öffnung des Dekolletés darbot, in dem weitere Cattleyablüten befestigt waren. Sie war noch kaum wieder zu sich gekommen von dem Schreck, den Swann ihr bereitet hatte, als das Pferd vor einem Hindernis scheute und auf die Seite sprang. Sie wurden heftig hin und hergeworfen; Odette hatte einen Schrei ausgestoßen, nun zitterte sie und rang nach Atem.
    »Es ist nichts«, sagte er, »haben Sie keine Angst.«
    Er faßte sie bei den Schultern und drückte sie sanft an sich, um sie festzuhalten; dann sagte er zu ihr:
    »Vor allem sprechen Sie nicht, antworten Sie nur durch Zeichen, Sie sind ja noch ganz außer Atem. Es macht Ihnen doch nichts aus, wenn ich die Blumen an Ihrem Ausschnitt zurechtrücke, sie sind ganz in Unordnung gekommen durch den Stoß. Ich stecke sie etwas tiefer hinein, Sie verlieren sie sonst.«
    Und sie, die nicht gewöhnt war, daß die Männer mit ihr soviel Umstände machten, gab ihm nur lächelnd zur Antwort:
    »Nein gar nicht, es macht mir nichts aus.«
    Durch ihre Worte eher verschüchtert, vielleicht auch in der Idee, mit diesem Vorwand aufrichtig gewirkt zu haben oder nachträglich schon selbst der Meinung, er sei es wirklich gewesen, rief er aus:
    »Nein, nein, vor allem sagen Sie nichts, Sie strengen sich zu sehr an, machen Sie nur eine Bewegung, dann verstehe ich Sie sehr gut. Wirklich, macht es Ihnen nichts? Schauen Sie, hier ist ein bißchen … ich glaube, es ist Blütenstaub, was da auf Sie gefallen ist; darf ich es mit der Hand wegwischen? Stört es Sie auch nicht? Bin ich vielleicht zu heftig? Es

Weitere Kostenlose Bücher