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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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Hagebuchenlaube die gleiche Kühle genießen konnte wie am Ufer eines von Vergißmeinnicht und Schwertlilien eingerahmten Teiches und wo beim Abendessen der Tisch von Girlanden aus Johannisbeerzweigen und Rosen umgeben war, die sein Gärtner miteinander verflocht.
    Wenn die Zusammenkunft im Bois oder in Saint-Cloud schon frühzeitig angesetzt war, brach er so zeitig nach dem Essen auf – besonders wenn es aussah, als ob es regnen und möglicherweise die Rückfahrt der »Getreuen« schon eher erfolgen könnte –, daß einmal die Fürstin des Laumes (bei der spät zu Abend gegessen wurde und die Swann noch vor dem Mokka verlassen hatte, um sich zu den Verdurins auf die Insel im Bois zu begeben) bemerkte:
    »Ich muß schon sagen, wenn Swann dreißig Jahre älter wäre und an der Blase litte, würde man ihn ja entschuldigen, wenn er sich derartig rasch verdrückt. Im Ernst, was glaubt der eigentlich.«
    Er sagte sich, daß er den Zauber des Frühlings, den er in Combray nicht genießen durfte, wenigstens auf der Île des Cygnes 1 oder in Saint-Cloud finden würde. Da er aber an nichts anderes als an Odette denken konnte, wußte er nicht einmal, ob er den Duft der Blätter verspürt hatte oder ob Mondschein gewesen war. Er wurde mit dem kleinen Thema aus der Sonate begrüßt, das im Garten auf dem Klavier des Restaurants intoniert wurde. War keins vorhanden, so scheuten die Verdurins keine Mühe, um aus einem der Zimmer oder dem Speisesaal ein solches ins Freie schaffen zu lassen. Das bedeutete nicht etwa, daß Swann von ihnen wieder in Gnaden aufgenommen wäre, ganz im Gegenteil. Dochdie Idee, für jemanden ein raffiniertes Vergnügen zu organisieren, selbst wenn sie ihn nicht mochten, ließ bei ihnen während der Zeit, die sie für die Veranstaltung brauchten, flüchtige und nur der Gelegenheit dienende Gefühle der Sympathie, ja Herzlichkeit aufkommen. Manchmal sagte er sich, daß nun wiederum ein Frühlingsabend dahingehe, und versuchte sich zu zwingen, auf die Bäume und den Himmel achtzugeben. Die Aufregung, in die ihn Odettes Gegenwart versetzte, und dazu ein leichtes fiebriges Unbehagen, das ihn in letzter Zeit kaum noch verließ, benahmen ihm jedoch die Ruhe und das Wohlgefühl, die für Natureindrücke die unerläßliche Voraussetzung sind.
    Eines Abends, als Swann eine Einladung zum Essen bei den Verdurins angenommen hatte, sprach er während der Mahlzeit davon, daß er am folgenden Tag an einem Bankett alter Kameraden teilnehmen müsse. Odette hatte ihm vor versammelter Tafelrunde, vor Forcheville, der jetzt einer der Getreuen war, vor dem Maler, vor Cottard zur Antwort gegeben:
    »Ja, ich weiß, Sie haben Ihr Bankett; da sehe ich Sie also erst bei mir, aber kommen Sie nicht zu spät.«
    Obwohl Swann bislang noch niemals die Freundschaft Odettes für diesen oder jenen Getreuen ernstlich beargwöhnt hatte, bereitete es ihm doch ein tiefes Glücksgefühl, als er sie in dieser Weise vor allen Anwesenden seelenruhig und unbefangen ihre regelmäßigen abendlichen Rendezvous und seine daraus hervorgehende Sonderrolle bei ihr eingestehen hörte. Wohl hatte Swann oft genug gedacht, daß Odette eigentlich keine bemerkenswerte Frau sei und daß seine Macht über ein Wesen, das ihm so weit unterlegen war, nichts so Schmeichelhaftes habe, daß er sie im Angesicht der »Getreuen« bekanntgegeben wünschte; seitdem er aber bemerkt hatte, wie vielen Männern Odette als eineentzükkende und begehrenswerte Frau erschien, hatte der Zauber, den für jene ihr Körper besaß, in ihm ein quälendes Bedürfnis geweckt, sie bis in die letzten Winkel ihres Herzens hinein sich völlig zu unterwerfen. So hatte er begonnen, den am Abend bei ihr verbrachten Minuten einen unschätzbaren Wert beizumessen, jenen Augenblicken, da er sie auf seine Knie nahm, sie sagen ließ, was sie über diese oder jene Sache denke, und wo er im Geist die Dinge an sich vorbeiziehen ließ, die die einzigen auf Erden waren, deren Besitz er noch wichtig nahm. Nach diesem Abendessen zog er sie daher auf die Seite, dankte ihr gerührt und machte dabei den Versuch, ihr durch seine sorgfältig abgestufte Dankbarkeit die verschiedenen Grade von Freuden, die sie ihm bereiten konnte, zu verdeutlichen, deren höchste darin bestand, ihm, solange seine Liebe währen und ihn in dieser Hinsicht verwundbar machen würde, die Leiden der Eifersucht zu ersparen.
    Als er am folgenden Tag nach dem Bankett ins Freie trat, regnete es in Strömen, und er hatte nur seinen Mylord

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