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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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Swann so sehr allen anderen Interessen entfremdet, daß er, wenn er zufällig einmal in die mondäne Gesellschaft zurückkehrte in der Vorstellung, seine Beziehungen würden etwa wie ein elegantes Gespann, das sie übrigens nicht sehr sachgemäß einzuschätzen gewußt hätte, seiner Person in den Augen Odettes einen gewissen Wert verleihen (was auch gestimmt hätte, wären sie nicht tatsächlich gerade durch seine Liebe im Wert gemindert worden, da diese für Odette alles, was sie berührte, billiger werden ließ allein durch die Tatsache, daß sie ihr alles als weniger kostbar hinstellte), daß er dort neben der Qual, an einem Ort und in einem Milieu zu sein, die Odette nicht kannte, das selbstlose Vergnügen fand, das er an einem Romanoder einem Bild gehabt hätte, auf dem die Zerstreuungen der Welt der Müßiggänger dargestellt sind; wie er bei sich selbst zu Hause gern das reibungslose Funktionieren des Haushalts, die Eleganz seiner Garderobe und seiner Dienerschaft, die gute Anlage seiner Werte in der gleichen Weise betrachtete, wie er bei Saint-Simon, einem seiner Lieblingsschriftsteller, von dem »Mechanismus« des Tagesablaufs in Versailles, dem Menü der Mahlzeiten bei Madame de Maintenon oder dem schlauen Geiz und großen Lebenszuschnitt Lullis las. 1 In dem geringfügigen Maß aber, in dem diese Distanzierung nicht vollkommen war, bestand der Grund für das neue Vergnügen, das Swann in diesen Kreisen fand, darin, daß er für einen Augenblick in die spärlichen Bezirke seines Wesens ausweichen konnte, die seiner Liebe, seinem Kummer fremd geblieben waren. In dieser Hinsicht war der Personencharakter, den ihm meine Großtante mit der von seiner individuelleren Persönlichkeit als Charles Swann sehr wohl zu unterscheidenden Bezeichnung »der junge Swann« verlieh, derjenige, in dem er sich zur Zeit am allermeisten gefiel. Eines Tages, als er zum Geburtstag der Prinzessin von Parma (besonders, weil sie indirekt Odette gefällig sein konnte, indem sie ihm Plätze für Galavorstellungen und Jubiläumsveranstaltungen verschaffte) als Geschenk Früchte schicken wollte und nicht recht wußte, wie man sie bestellt, hatte er eine Kusine seiner Mutter damit beauftragt, die, entzückt darüber, daß sie eine Besorgung für ihn erledigen durfte, ihm antwortete, sie habe nicht alle Früchte an der gleichen Stelle gekauft, sondern die Trauben bei Crapote, dessen Spezialität sie seien, die Erdbeeren bei Jauret, die Birnen bei Chevet, wo sie am schönsten ausfielen und so fort. 2 »Jede Frucht habe ich einzeln besichtigt und geprüft«, setzte sie hinzu. Tatsächlich hatte er nach den Dankesbezeigungen der Prinzessin sich den Duftder Erdbeeren und die schmelzende Zartheit der Birnen vorstellen können. Besonders aber waren die Worte: »Jede Frucht habe ich einzeln besichtigt und geprüft« Balsam für seine Leiden gewesen, da sie sein Bewußtsein in einen Bereich entrückten, in den er sich nur selten begab, obwohl er ihm ganz eigentlich angehörte als dem Erben eines reichen guten Bürgerhauses, in dem sich durch Vererbung, stets bei der Hand, um ihm zu Diensten zu sein, wenn es ihm gefiele, die Kenntnis der »guten Adressen« und die Kunst erhalten hatten, eine Bestellung richtig auszuführen.
    Gewiß hatte er zu lange vergessen, daß er »der junge Swann« war, um nicht, wenn er es für einen Augenblick wieder wurde, ein lebhafteres Vergnügen zu empfinden als über alles, was er in der übrigen Zeit erfahren mochte und schon sattsam gewohnt war; und wenn die Liebenswürdigkeit der bürgerlichen Kreise, für die er es immer geblieben war, weniger in die Augen fiel als die der Aristokratie ( jedoch schmeichelhafter war, da sie dort nie von wirklicher Achtung getrennt auftritt), so konnte doch ein Brief von einer Hoheit, welche fürstlichen Vergnügungen er ihm auch in Aussicht stellen mochte, ihm nicht angenehmer sein als der, in dem man ihn als Trauzeugen oder auch nur Teilnehmer zu einer Hochzeit in der Familie alter Freunde seiner Eltern bat, von denen die einen ihn auch weiterhin öfter sahen – wie zum Beispiel mein Großvater, der ihn ein Jahr vorher zur Hochzeit meiner Mutter eingeladen hatte –, die anderen ihn aber persönlich kaum kannten, jedoch glaubten, eine Pflicht der Höflichkeit gegen den Sohn und würdigen Nachfolger des verstorbenen Monsieur Swann erfüllen zu müssen.
    Durch die alten intimen Beziehungen aber, die er zu ihren Kreisen besaß, gehörten auch die Leute der mondänen Gesellschaft in

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