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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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schonungsvoll zu fragen, ob sie sich jemals mit Kupplerinnen eingelassen habe. Im Grunde war er überzeugt, es sei nicht der Fall gewesen; erst die Lektüre des anonymen Briefes hatte diesen Gedanken überhaupt in ihm aufkommen lassen, allerdings nur auf mechanische Weise; er hatte in seinem Bewußtsein nicht im geringsten Glauben gefunden, war aber tatsächlich doch in ihm hängengeblieben, und um die rein formale, aber doch lästige Gegenwart dieses Argwohns loszuwerden, wünschte sich Swann, daß Odette ihn selbst in ihm ausrottete. »O nein! Nicht daß sie mir nicht nachlaufen würden«, setzte sie mit einem Lächeln befriedigter Eitelkeit hinzu, deren Unfaßbarkeit für Swann ihr nicht mehr zum Bewußtsein kam. »Noch gestern hat hier eine mehr als zwei Stunden auf mich gewartet, sie versprach mir jeden Preis, den ich verlangen würde. Offenbar hat irgendein Gesandter ihr gesagt: ›Wenn Sie sie mir nicht bringen, nehme ich mir das Leben.‹ Erst habe ich ihr sagen lassen, ich sei ausgegangen, doch schließlich habe ich sie selbst hinausbefördern müssen. Ich wünschte, du hättest mitangesehen, wie ich es ihr gegeben habe; meine Zofe, die mich vom Nebenzimmer aus hörte, hat mir nachher gesagt, ich hätte sie regelrecht angeschrien: ›Aber wo ich Ihnen doch sage, daß ich nicht will! Ich bin nun einmal so, ich mag das nicht. Ich kann doch tun und lassen, was ich will, oder nicht? Wenn ich Geld brauchte, ließe sich das noch verstehen …‹ Der Concierge hatOrder, sie nicht mehr ins Haus zu lassen. Er soll jedesmal sagen, ich sei auf dem Land. Ach, ich wünschte, du hättest von einem Versteck aus zugehört. Ich glaube, du wärst zufrieden gewesen, Liebling. Auch deine kleine Odette hat ihre guten Seiten, wenn sie auch noch so abscheulich sein soll.«
    Im übrigen dienten auch ihre Geständnisse, wenn sie Swann solche machte in dem Glauben, er hätte bestimmte Vergehen von ihr entdeckt, ihm eher als Ausgangspunkt für neue Zweifel, als daß sie den alten ein Ende bereiteten, denn sie entsprachen diesen niemals ganz. Wenn auch Odette aus ihrer Beichte alles Wesentliche ausließ, so blieb doch in den Nebenumständen irgend etwas, was Swann nie vermutet hätte, was ihm ganz neue Möglichkeiten enthüllte und das Problem der Eifersucht für ihn wiederum in ein neues Licht rückte. Diese Geständnisse aber konnte er nicht vergessen. Wie einen Leichnam führte seine Seele sie in ihren Strömungen mit, warf sie ans Ufer, nahm sie wiegend wieder auf. Und sie blieb davon vergiftet.
    Einmal sprach sie von einem Besuch, den Forcheville ihr am Tag des Paris-Murcia-Festes gemacht habe. »Wie, da kanntest du ihn schon? Ach ja, natürlich«, setzte er hinzu, um sich den Anschein zu geben, als habe er es gewußt. Und auf einmal erbebte er bei dem Gedanken, sie habe vielleicht an jenem Tag des Paris-Murcia-Festes, an dem er den Brief von ihr erhalten hatte, den er als Kostbarkeit bei sich aufbewahrte, in der Maison d’Or mit Forcheville gespeist. Sie schwor, es sei nicht der Fall gewesen. »Aber die Maison d’Or erinnert mich doch an irgend etwas, wovon ich später gemerkt habe, daß es nicht stimmt«, fuhr er fort, um sie unsicher zu machen. »Ja, weil ich an dem Abend nicht da war, woher ich behauptete zu kommen; weißt du, als du mich bei Prévost gesucht hattest«, antwortete sie (weil sie aus seinerMiene entnehmen zu können glaubte, daß er es bereits wisse) mit einer Entschiedenheit, in der nicht eigentlich Zynismus, sondern eher Schüchternheit lag, eine gewisse Angst, Swann zu verstimmen, die sie aus Eigenliebe gleichwohl verbergen wollte, dann auch der Wunsch, ihm zu zeigen, sie könne durchaus offen ihm gegenüber sein. Deshalb traf sie ihn auch mit der Genauigkeit und der Kraft eines Henkers, wiewohl ohne alle Grausamkeit, denn Odette war sich nicht bewußt, welchen Schmerz sie Swann bereitete; sie fing sogar zu lachen an, allerdings vielleicht deshalb, um nicht verlegen oder beschämt zu wirken. »Es stimmt, ich war nicht in der Maison Dorée, ich kam gerade von Forcheville. Ich war wirklich bei Prévost gewesen, ich habe dir nichts Falsches gesagt, er hatte mich dort getroffen und mir vorgeschlagen, ich solle mir bei ihm seine Stiche anschauen. Doch dann war inzwischen bei ihm ein Besuch eingetroffen. Ich habe dir gesagt, ich käme aus der Maison d’Or, weil ich fürchtete, du würdest dich vielleicht ärgern. Du siehst, ich habe es nur in bester Absicht getan. Und wenn es unrecht war, gestehe ich es dir

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