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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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fing die Herzogin wieder an, »wie Robert sich in so etwas je hat verlieben können. Oh, ich weiß natürlich, daß man über solche Dinge nicht streiten soll«, setzte sie mit dem reizenden Schmollmündchen eines Philosophen und einer schon abgeklärten Empfindsamen hinzu. »Ich weiß, daß jedermann sich schlechthin in jeden verlieben kann. Außerdem«, fügte sie hinzu (denn wenn sie sich auch immer noch über die neue Literatur lustig machte, so war diese doch vielleicht in der durch die Zeitungen popularisierten Form oder aufgrund von bestimmten Gesprächen etwas in sie eingedrungen), »ist das ja gerade das Schöne an der Liebe, weil sie dadurch ›mysteriös‹ wird.«
    »Mysteriös! Oh! Ich muß sagen, das geht für mich etwas zu weit, liebe Kusine«, sagte Graf d’Argencourt.
    »Doch, die Liebe ist schon etwas sehr Mysteriöses«, fuhr die Herzogin mit dem sanften Lächeln der liebenswürdigen Frau von Welt, aber auch der intransigenten Überzeugtheit einer Wagnerianerin fort, die einem Angehörigen exklusiver Clubs gegenüber die Meinung vertritt, die Walküre bestehe nicht nur aus Lärm. »Im übrigen weiß man eigentlich nie, weshalb ein Mensch einen anderen liebt – vielleicht gar nicht aus den Gründen, die wir annehmen«, setzte sie lächelnd hinzu, womit sie durch ihre Auslegung die Idee im Grunde wieder von sich wies, die sie soeben propagiert hatte. »Man weiß ja im Grunde niemals etwas Gewisses«, schloß sie mit einemskeptischen und müden Ausdruck im Gesicht. »Deshalb ist es ja auch ›intelligenter‹, nicht wahr, daß man die Wahl von Liebenden gar nicht erst diskutiert.«
    Nachdem sie jedoch diesen Grundsatz aufgestellt hatte, verstieß sie auf der Stelle gegen ihn, indem sie Saint-Loups Wahl kritisierte.
    »Trotzdem, nicht wahr, finde ich es erstaunlich, daß eine lächerliche Person einem verführerisch erscheinen kann.«
    Als Bloch hörte, daß von Saint-Loup die Rede war und begriff, daß dieser in Paris war, fing er so abscheulich schlecht über ihn zu sprechen an, daß alles darüber empört war. Er begann jetzt Haßgefühle in sich zu hegen, und man spürte, daß er, um ihnen Genüge zu tun, vor nichts zurückschrecken würde. Nachdem er als Grundsatz festgelegt hatte, er selbst sei eine sittlich sehr hochstehende Persönlichkeit und die Art von Leuten, die den La Boulie 1 besuchten (einen Sportclub, der ihm elegant erschien), gehörten ins Zuchthaus, hielt er alle Schläge, die er gegen sie führte, für höchst verdienstvoll. Einmal ging er sogar so weit, von einem Prozeß zu sprechen, den er gegen einen seiner Freunde vom La Boulie anstrengen wolle. Im Laufe dieses Prozesses gedachte er eine bewußt lügnerische Aussage zu machen, deren Haltlosigkeit jedoch der Betroffene nicht würde beweisen können. Auf diese Weise wollte Bloch, der übrigens seinen Plan nicht ausgeführt hat, jenen nach Kräften zur Verzweiflung und zum Wahnsinn treiben. Was war da Böses daran, wo doch der Mann, den er in dieser Weise angreifen wollte, einer war, der einzig daran dachte, was schick sei, einer aus dem La Boulie, und solchen Leuten gegenüber jedes Mittel erlaubt ist, besonders wenn ein Heiliger wie er selbst, Bloch, es in Anwendung brachte?
    »Trotzdem, denken Sie an Swann«, warf d’Argencourt ein, der endlich begriff, was seine Kusine hatte sagenwollen, die Richtigkeit ihres Urteils mit Erstaunen einsehen mußte und nun in seinem Gedächtnis nach Leuten suchte, die ihm persönlich nicht zusagende Personen geliebt hatten.
    »Ach! Swann, das ist nicht dasselbe«, widersprach die Herzogin. »Trotzdem war das sehr erstaunlich, denn sie war schlichtweg idiotisch, aber lächerlich war sie nicht, und hübsch ist sie auch gewesen.«
    »Hm, hm,« brummte Madame de Villeparisis.
    »Nein? Sie fanden sie nicht hübsch? Sie hatte doch etwas ›Sch‹armantes, wunderhübsche Augen, hübsches Haar, sie war und ist immer noch zauberhaft gekleidet. Jetzt, das gebe ich zu, ist sie abscheulich, aber sie war eine entzückende Person. Ich bin darum nicht weniger betrübt, daß Charles sie geheiratet hat, wo es doch ganz überflüssig war.« Die Herzogin glaubte damit nichts besonders Bemerkenswertes zu sagen, aber als d’Argencourt lachte, wiederholte sie den Satz, sei es, daß sie ihn selber komisch fand oder daß sie den Lachenden nett gefunden hatte, dem sie nun etwas schöntat, um den Zauber des Gemüts dem des Geistes hinzuzufügen. Dann fuhr sie fort: »Ja, nicht wahr, es war nicht nötig, aber

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