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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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verschrienen kleinen konkreten Fakten wieder zu Ehren brachte und alle »Phrasen« verpönte. Jetzt aber fand ich in dieser Haltung Swanns den Dingen gegenüber etwas Schockierendes. Es sah aus, als wage er keine Meinung zu haben und als fühle er sich nur wohl, wenn er pedantisch genaue Auskünfte erteilen konnte. Er machte sich also nicht klar, daß er dadurch die Meinung vertrat, ja das Postulat aufstellte, daß die Genauigkeit dieses Details etwas Bedeutendes sei. Ich mußte wieder an jenes Abendessen denken, wo ich so traurig war, daß Mama nicht zu mir heraufkommen sollte, und wo er gesagt hatte, die Feste bei der Fürstin von Léon seien ohne jede Bedeutung. Und doch wendete er sein Dasein an diese Art von Vergnügungen. Ich fand das alles widerspruchsvoll. Für welches andere Leben hob er es sich denn auf, endlich zu sagen, was er ernstlich über die Dinge dachte, Urteile zu fällen, die nicht in Anführungsstrichenstanden, und sich nicht mehr unter peinlicher Wahrung der Höflichkeit Beschäftigungen hinzugeben, von denen er gleichzeitig zugab, daß sie lächerlich seien? Auch stellte ich in seiner Art, mir von Bergotte zu erzählen, etwas fest, was wiederum nicht ihm persönlich eigentümlich, vielmehr damals allen Bewunderern dieses Schriftstellers gemeinsam war, der Freundin meiner Mutter, dem Doktor du Boulbon. Wie Swann sagten auch sie von Bergotte: »Er ist ein bezaubernder Geist, etwas ganz Besonderes, er hat eine etwas ausgefallene, aber sehr angenehme Art, die Dinge zu sagen. Man braucht gar nicht nachzusehen, wer der Verfasser ist, man kennt ihn sofort heraus!« Keiner von ihnen wäre aber so weit gegangen zu sagen: »Er ist ein großer Schriftsteller, eine große Begabung.« Sie sagten nicht einmal, er sei begabt. Sie sagten es nicht, weil sie es nicht wußten. Wir sind sehr langsam darin, in der besonderen Physiognomie eines neuen Schriftstellers das Modell mit der Aufschrift »große Begabung« im Museum unserer Allgemeinvorstellungen herauszuerkennen. Gerade weil es sich um ein neues Gesicht handelt, stellen wir die Ähnlichkeit mit dem, was wir eine Begabung nennen, nicht gleich fest. Wir sprechen eher von Originalität, Charme, Feinsinn, Kraft; und dann, eines Tages, machen wir uns klar, daß gerade das alles die Begabung ausmacht.
    »Gibt es Werke von Bergotte, in denen er von der Berma spricht?« erkundigte ich mich bei Swann.
    »Ich glaube in seiner kleinen Schrift über Racine 1 , sie dürfte aber vergriffen sein. Vielleicht ist sie auch neu aufgelegt. Ich will mich danach erkundigen. Ich kann übrigens Bergotte alles fragen, was Sie wollen, es vergeht keine Woche, in der er nicht zu uns zum Essen kommt. Er hat sich sehr mit meiner Tochter angefreundet. Sie besuchen gemeinsam alte Städte, Kirchen und Schlösser.«
    Da ich in bezug auf die gesellschaftliche Rangordnung völlig ahnungslos war, hatte seit langem die Tatsache, daß mein Vater den gesellschaftlichen Umgang unsererseits mit Madame und Mademoiselle Swann für unmöglich hielt, bei mir eher die Wirkung, daß ich mir zwischen ihnen und uns eine große Distanz vorstellte und ihnen so Prestige zuerkannte. Ich bedauerte, daß meine Mutter sich nicht die Haare färbte und kein Rouge für ihre Lippen verwendete, wie nach den Worten unserer Nachbarin, Madame Sazerat, Madame Swann es tat, weniger um ihrem Mann als um Monsieur de Charlus zu gefallen, und ich nahm an, daß sie nur Verachtung für uns hegen könne, was mir besonders wegen Mademoiselle Swann leid tat, die ein so reizendes kleines Mädchen sein sollte und von der ich oft träumte, wobei ich ihr immer das gleiche eigenmächtige und bezaubernde Antlitz verlieh. Als ich an diesem Tag nun erfuhr, Mademoiselle Swann lebe inmitten so vieler Privilegien wie in ihrem eigentlichen Element, sie sei ein so außerordentlich bevorzugtes Wesen, daß sie, wenn sie ihre Eltern fragte, ob heute jemand zum Essen komme, jene lichterfüllten Silben, das heißt den Namen des erlesenen Gastes zur Antwort erhielt, der für sie nur einfach ein alter Freund der Familie war: Bergotte; daß das trauliche Tischgespräch – für mich etwa der Konversation mit meiner Großtante entsprechend – für sie die Worte Bergottes über alle jene Gegenstände waren, die er in seinen Büchern nicht erörtern konnte und über die ich so gern seine Orakelsprüche gehört hätte; endlich daß er, wenn sie fremde Städte anschaute, einfach neben ihr herging, unerkannt und ruhmvoll wie die Götter, die unter den

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