Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
Vom Netzwerk:
Marinetti ein Loblied auf die Schönheit eines Automobils oder einer Lokomotive anstimmt und sich gleichzeitig über die Schönheit der Nike von Samothrake lustig macht. Weitere Verbindungen zur zeitgenössischen Kunst ergeben sich in der Gefangenen , wenn Proust die verschiedenen Ansichten Albertines übereinanderlegt und gleichsam ein futuristisches Bild malt, oder auch wenn er Albertine am Pianola als kubistisches Bild darstellt.
    Neben der Gefangenschaft Albertines wird in der Gefangenen auch eine wesentliche Entwicklungsphase in Marcels ästhetischer Bildung erzählt. Nach den Erfahrungen mit Architektur und Skulptur (hauptsächlich in Swann und in den Jeunes filles ), mit Malerei (in den Jeunes filles und in Guermantes , am Beispiel Elstirs) und mit der Schauspielkunst (in den Jeunes filles und in Guermantes , am Beispiel der Berma), gelangt Marcel in der Gefangenen dank der Auseinandersetzung mit dem Werk Vinteuils zur Erkenntnis des Wesens der Kunst. Um selbst zum Künstler zu werden, ist er jedoch wegen seiner Liebe zu Albertine noch zu sehr im Leben verhaftet und bleibt vom Künstlertum vorläufig ausgeschlossen. Während innerhalb der Geschichte Marcels die Begegnung mit Vinteuils Septett eine vorläufige und unvollkommene Erfahrung darstellt, bildet Die Gefangene den Schluß- und wohl auch den Höhepunkt von Prousts Schaffen. Proust selbst hat zwar einmal gesagt, die Flüchtige sei sein am besten geschriebenes Werk, doch ist die Gefangene mit der in mehreren Tageszyklen erzählten Gefangenschaft Albertines nicht weniger gut komponiert als die Flüchtige mit dem in drei Phasen gegliederten Entschwinden Albertines. Der »komponierte« Charakter des Bandes äußert sich nicht nur in der Gliederung der Handlung, sondern auch in der bewußten Verwendung von Leitmotiven, in der durchgehenden musikalischen Thematik und der musikalischen Faktur einzelner Texte.
    Abgesehen von zahlreichen im übertragenen Sinnmusikalischen Passagen, wie der Eingangsszene, in der die Straßengeräusche Marcel ein Erwachen »ganz in Musik« bescheren, oder dem Morgen des zweiten Tages, wo mit den Rufen der Straßenverkäufer eine »Festouvertüre« erklingt, entwickelt Proust das Thema Musik in drei sich ergänzenden Szenen oder Sequenzen des Romans auf explizite Weise. Jede dieser Szenen nimmt ihren Ausgangspunkt in der Geigensonate Vinteuils.
    Die erste spielt am Nachmittag des dritten Tages: Während Marcel auf die Heimkehr Albertines wartet, setzt er sich ans Klavier und spielt die Sonate Vinteuils. Plötzlich erinnert ihn eine bisher nicht beachtete Stelle an Tristan . Nun schlägt er die Partitur des Tristan auf, legt sie über die Sonate Vinteuils, und seine Gedanken kreisen in der Folge auch um Wagner. Schöner könnte nicht gezeigt werden, wie die Recherche , in der Proust die Gefangene über »Eine Liebe Swanns« legt, komponiert ist; deutlicher könnte auch nicht gesagt werden, wer Vinteuil eigentlich ist. Während der ganzen Szene werden Marcels musikalische Überlegungen von der Frage begleitet, ob Kunst tatsächlich etwas grundlegend anderes ist als das Leben oder eben doch nicht. In einer Betrachtung über den letzlich unvollkommenen Charakter einiger großer Werke des 19. Jahrhunderts, das heißt über die Art und Weise, wie Balzac, Hugo, Michelet oder Wagner (im deutlich intendierten Gegensatz zu Proust) einzelne ihrer Werke erst nachträglich zu einem Ganzen zusammengefügt haben, scheint die Frage eher verneint, in den Betrachtungen über die Motive Wagners und die in ihnen erklingende jubilierende Schöpferfreude scheint sie eher bejaht zu werden.
    Die zweite Szene, eine der großen Gesellschaftsszenen der Recherche , spielt am Abend des dritten Tages. Sie zeigt die Uraufführung eines nachgelassenen Septetts von Vinteuil im Rahmen eines vom Baron von Charlus organisierten Hauskonzerts bei den Verdurins. Marcel, der nicht weiß, was auf dem Programm steht, erkennt plötzlich, daß es sich bei der Musik, die er hört, um ein Stück von Vinteuil handeln muß. Die in Sodom und Gomorrha gleich einem Leitmotiv immer wieder gestellte Frage, ob Vinteuil außer der Geigensonate noch andere Werke komponiert habe, wird so während der Aufführung dieses Septettsendlich beantwortet. Auch hier kreisen Marcels Gedanken, die das Konzert begleiten, nicht nur um die Musik im speziellen, sondern auch um die Frage nach dem Wesen der Kunst: Ist Kunst nur etwas Kontingentes? Ist sie denselben Zufällen unterworfen wie das Leben?

Weitere Kostenlose Bücher