Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Kranken – Sie konferierten endlos unter sich – Betreffend seinesZustandes aber, ihm gegenüber, nein, nein, die Medizin geht den Patienten nichts an – Wie ungehobelt, sagte sich Bergotte, denn offensichtlich wollen sie damit sagen – Er möchte wissen, wie lange noch …« Am folgenden Nachmittag zwischen fünf und sechs Uhr, während Doktor Robert Proust, Doktor Bize und Doktor Babinski sich um ihn bemühten, ist Proust gestorben.
Die Publikation von Sodome et Gomorrhe III . La Prisonnière im November 1923 stand noch völlig im Zeichen von Prousts ein Jahr zuvor erfolgtem Tod. In der Zwischenzeit waren weitere Vorabdrucke erschienen, u. a. in der Sondernummer der Nouvelle revue française vom 1. Januar 1923, Hommage à Marcel Proust 1871-1922 . Im Zentrum des Interesses standen nun neben den Erinnerungen an den Autor die unpublizierten Teile des Werkes, die Gallimard in Zusammenarbeit mit Prousts Bruder 1925 ( Albertine disparue ) und 1927 ( Le Temps retrouvé ) herausbrachte. Die Ausgaben von Jean Milly (»GF«), Pierre-Edmond Robert (»Bibliothèque de la Pléiade« und »folio«) und Nathalie Mauriac Dyer (»Le livre de poche«) – Ausgaben, denen wir manche Anregung verdanken – haben auf die komplizierte Text- und Editionsgeschichte des Bandes neues Licht geworfen.
Während man sich seit dem Erscheinen von Du côté de chez Swann trotz dem entschiedenen Widerstand seitens des Autors bemüht hat, die Modelle für Prousts Romanfiguren zu identifizieren – Charles Haas oder Charles Ephrussi für Swann, Robert de Montesquiou oder den Baron Doazan für Charlus, Delafosse für Morel, Agostinelli für Albertine und Proust selbst für alle zusammen –, versucht die neuere Kritik, Prousts Personen als Exempelfiguren zu verstehen: Swann als Vertreter des Ästhetizismus, als eine Art Emissär Ruskins; Charlus als Verkörperung der Homosexualität; Morel als Beispiel für die krankhafte Verbindung von Begabung und Schändlichkeit; Albertine als Beispielfigur für Malerei (vgl. die vorangegangenen Kommentare der Frankfurter Ausgabe), als Vertreterin einer neuen Gesellschaftsschicht, die in die großbürgerlich-aristokratische Welt einbricht (Jacques Dubois), als allegorische Figur des Proustschen Textes selbst (Daniela de Agostini und Rainer Warning).
Die vorliegende Ausgabe folgt der Übersetzung von Eva Rechel-Mertens aus dem Jahr 1956. Der Text wurde revidiert und stellenweise neu gefaßt.
Außer den neueren französischen Ausgaben verdankt unser Kommentar Alberto Beretta Anguissola entscheidende Anregungen.
Zürich, im Juni 2000
RESÜMEE
DIE GEFANGENE
Erster Tag: Die morgendlichen Straßengeräusche dringen in Marcels Zimmer. Albertines Gutenachtkuß als Wegzehrung (7). Lichteffekte und Albertines Vogelgezwitscher bei der Morgentoilette. Das Barometermännchen (9). Die Mutter schreibt täglich aus Combray. Sie mißbilligt Marcels Verhalten gegenüber Albertine (12). Françoise zwingt Albertine unter das Gesetz, Marcels Schlaf nicht zu stören. Zitate aus Racines Esther (16). Geistige und physische Veränderungen Albertines (20). Marcel empfindet gegenüber Albertine keine Liebe mehr, sondern nur noch Eifersucht. Stets wittert er verdächtige Machenschaften und rät deshalb Albertine von einem Ausflug in den Park der Buttes-Chaumont ab. Unvorsichtigerweise läßt er sie auf ihren täglichen Spazierfahrten von Andrée und dem ehemaligen Chauffeur der Verdurins begleiten. Gomorrha ist überall (23). Kaum ist Albertine ausgefahren, genießt Marcel die Freuden des Alleinseins. Träumereien, Erinnerungen, Reisewünsche. Venedig (31).
Besuche bei der Herzogin von Guermantes gegen Abend. Ihre Fortuny-Kleider. Ihre altmodische Sprache (38). Psychologische Auswirkungen der Dreyfus-Affäre (50). Weiteres Gespräch über Modefragen (54). Begegnung mit Monsieur de Charlus und Morel. Der Ausdruck »einen Tee spendieren«. Charlus’ Vertrautheit mit Morel, mit einem Klubdiener, mit Monsieur de Vaugoubert. Einschub des Autors, der sein Sittengemälde rechtfertigt (56). Plan einer Heirat Morels mit Jupiens Nichte. Zufriedenheit des Barons. Infame Absichten Morels (62).
Zwischenfall mit dem Jasmin (73). Diskretion Albertines (76). Andrées Charakterfehler (79). Eifersucht als Quelle von Mißtrauen und Täuschung (82). Albertine im Hauskleid. Ihr Ring mit den Schwingen eines Adlers. Ihr Geschmack, ihre Eleganz,ihre Intelligenz (84). Das Wesen der jungen Mädchen liegt in der Geschwindigkeit ihrer Veränderungen
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