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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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sich statt dessen lieber einer konventionellen Mimik, die, unanstrengend und gefahrlos zugleich, besagte, daß sie Tränen lache. Bei dem geringfügigsten Scherzwort, das ein Getreuer gegen einen »Langweiler« oder einen ins Lager der »Langweiler« verstoßenen ehemaligen Getreuen vorbrachte, stieß sie – zur größten Verzweiflung übrigens von Monsieur Verdurin, der lange Zeit den Ehrgeiz gehabt hatte, für ebenso liebenswürdig zu gelten wie seine Frau, der aber, da er ernstlich lachte, schnell außer Atem geriet und so durch ihre List einer unaufhörlichen, wenn auch fiktiven Heiterheit ins Hintertreffen geraten war – einen kleinen Schrei aus, drückte ihre Vogelaugen, die eine leichte Hornhautveränderung zu verschleiern begann, fest zu und barg plötzlich, als habe sie gerade noch Zeit gefunden, ein unpassendes Schauspiel den Blicken zu entziehen oder einem tödlichen Anfall zu begegnen, das Gesicht in den Händen, so daß es völlig bedeckt und nichts mehr davon zu sehen war; es schien dann, als müsse sie die größten Anstrengungen machen, umeinen Lachanfall zu unterdrücken, der, wenn sie sich ihm hemmungslos überlassen hätte, zu einer Ohnmacht geführt haben würde. Berauscht von der Heiterkeit der Getreuen, trunken von Kameradschaft, von Klatsch und dem traulichen Gefühl der Gemeinsamkeit hockte Madame Verdurin auf ihrem Sitz wie ein Vogel, dem man seinen Brocken in warmen Wein getaucht hat, und schluchzte förmlich vor Liebenswürdigkeit.
    Indessen bat Monsieur Verdurin, nachdem er bei Swann um die Erlaubnis nachgesucht hatte, seine Pfeife anzünden zu dürfen (»bei uns macht man keine Umstände, wir sind ja unter uns«), den jungen Musiker, sich an den Flügel zu setzen.
    »Aber geh, so belästige ihn doch nicht, er ist doch nicht hier, um sich quälen zu lassen«, rief Madame Verdurin, »ich will nicht, daß du ihn quälst!«
    »Aber wieso soll ihm das denn lästig sein?« entgegnete Verdurin. »Monsieur Swann kennt vielleicht unsere Entdeckung noch nicht, die Fis-Dur-Sonate; er könnte sie uns doch für Klavier arrangiert vorspielen.«
    »O nein! Auf keinen Fall meine Sonate!« rief Madame Verdurin aus, »ich will mir doch nicht vor lauter Weinen einen Stirnhöhlenkatarrh holen und nachher Gesichtsneuralgien wie das letzte Mal. Nein, danke bestens, darauf gehe ich nicht wieder ein; ihr seid wirklich zu nett, man sieht, daß nicht ihr nachher acht Tage das Bett hüten müßt!«
    Diese Szene, die sich regelmäßig wiederholte, sooft der Pianist spielen sollte, entzückte die Freunde des Hauses jedesmal in unverminderter Weise als ein Beweis der unwiderstehlichen Originalität der »Patronne« 1 und ihrer musikalischen Empfindsamkeit. Diejenigen, die in der Nähe standen, gaben denen, die sich in größerer Entfernung kartenspielend oder rauchend aufhielten, einen Wink, sie sollten näher kommen, es sei etwas imGange, indem sie, wie es im Reichstag bei interessanten Debatten geschieht, »zuhören, zuhören!« 1 riefen. Am Tag darauf aber sprach man denen, die nicht hatten kommen können, sein Bedauern aus mit dem Bemerken, die Szene sei diesmal noch amüsanter als gewöhnlich verlaufen.
    »Also gut, abgemacht«, sagte Monsieur Verdurin, »er spielt nur das Andante.«
    »Nur das Andante, wie kannst du so etwas sagen!« rief Madame Verdurin. »Gerade das setzt mir ja mehr als alles andere zu. Unser ›Patron‹ versteht es wirklich! Das ist, als sagte er bei der Neunten : wir hören uns nur das Finale an, oder bei den Meistersingern nur die Ouvertüre.«
    Der Doktor hingegen redete Madame Verdurin zu, den Pianisten spielen zu lassen, nicht daß er die Aufregung, in die die Musik sie versetzte, für bloße Einbildung hielt – er stellte gewisse typische Symptome von Neurasthenie daran fest –, sondern aus jener Gewohnheit heraus, die viele Ärzte haben, sofort ihre Vorschriften etwas zu lockern, wenn es sich – da ihnen das vorzugehen scheint – um irgendeine gesellschaftliche Veranstaltung handelt, an der sie teilnehmen und bei der die Person, der sie anraten, doch einmal ihre Verdauungsbeschwerden oder ihre Grippe zu vergessen, eine Hauptrolle spielt.
    »Diesmal werden Sie bestimmt nicht krank, Sie werden sehen«, sagte er und versuchte es dabei mit einem suggestiven Blick. »Und wenn Sie doch krank werden, dann pflegen wir Sie eben.«
    »Bestimmt?« fragte Madame Verdurin, als könne man angesichts solcher erhofften Gunst nur kapitulieren. Manchmal vergaß sie vielleicht auch für

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