Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)
der Weltgeschichte gewesen, in der die Lage des Menschengeschlechts am glücklichsten und gedeihlichsten war«. *40
Im Unterschied zu späteren Imperien förderte das Römische Reich keine quasi-nationalistischen Ressentiments bei den unterworfenen Völkern, außer in Judäa. Ethnisch gefärbte Missstände mag es etwa in Ägypten und Britannien gegeben haben, doch die einzigen blutigen Revolten (insgesamt drei), die man als nationalistisch bezeichnen kann, wurden von den Juden geführt. Während des letzten jüdischen Aufstands in den dreißiger Jahren des 2. Jahrhunderts n. Chr. prägten die Rebellen Münzen mit den Slogans »Freiheit«, »Erlösung« und »Jerusalem«. *41 Es war Hadrian, in anderer Hinsicht einer der kultiviertesten römischen Kaiser, der diesen letzten Aufstand niederschlug und aus Jerusalem eine römische Kolonie machte.
Als hellenophil eingestellter Spross eines römischen Geschlechts, das sich auf der Iberischen Halbinsel angesiedelt hatte, bereiste dieser kluge Politiker die Provinzen,reformierte die Verwaltung und errichtete zahlreiche schöne Gebäude sowie einen Wall quer durch Britannien. Als Verfechter des Friedens setzte er der Expansion ein Ende und zog sogar die Legionen aus Mesopotamien (dem heutigen Irak) zurück. Für ihn war das Römische Reich ein Bund vieler verschiedener Völker, segensreich für alle darin lebenden freien Menschen. Es war ihm unbegreiflich, warum irgendjemand die vorherrschende griechisch-römische Kultur ablehnen sollte. Vielleicht erklärt das seine Grausamkeit gegen die Juden. Freilich war er nicht der einzige Römer, der kein Verständnis für die Aufstände in Judäa hatte. Der Aufstieg Roms, die Unterwerfung der Apenninhalbinsel und die Expansion vollzogen sich überall sonst ohne protonationalistischen Widerstand. Und das blieb so. Im 5. Jahrhundert zerbrach das Römische Reich aus verschiedenen internen wie externen Gründen, aber nationalistischer Widerstand gegen die römische Hegemonie zählte nicht dazu. Die unterworfenen Völker kämpften nicht um Freiheit oder Selbstbestimmung. Die meisten, darunter die Britannier, die die beata tranquillitas geschätzt hatten, wünschten sich das Fortbestehen des Reiches.
DAS BARBARISCHE UND DAS BYZANTINISCHE ITALIEN
Der italienische Historiker Arnaldo Momigliano erzählt, er sei, weil er die italienische Geschichte verstehen wollte, in den Zug gestiegen und nach Ravenna gefahren. »Dort, zwischen dem Grab Theoderichs und dem Dantes, in der beruhigenden Nachbarschaft der besten Aristophanes-Handschrift und in der weniger beruhigenden des besten Porträts der Kaiserin Theodora«, könne er sich »in die italienische Geschichte einzufühlen beginnen«.
Die Anwesenheit einer Fremdherrschaft, die Erinnerung an eine kaiserliche und heidnische Vergangenheit und die überwältigende Kraft der katholischen Tradition sind für viele Jahrhunderte bestimmende Merkmale der italienischen Geschichte gewesen. Diese drei Merkmale kamen erstmals zusammen, als Ravenna die Hauptstadt des Ostgotenreichs wurde. *42
Diese Passage wirkt recht eigenwillig, aber auch erhellend, wenn man bedenkt, dass Momigliano gar nicht über die »italienische Geschichte« schrieb, sondern über die Geschichte der Ereignisse auf der italienischen Halbinsel. Die Goten, Langobarden und Franken des »finsteren Mittelalters« kämpften nicht um Italien, sondern um Gebiete, die sie erobern und besiedeln wollten. Die Byzantinerbekämpften die ersten beiden barbarischen Invasionswellen, weil sie das imperiale Erbe Westroms für sich beanspruchten.
Historiker sind stets bestrebt, das Urteil ihrer Vorgänger zu revidieren, und so ist es heute üblich geworden zu behaupten, die »Barbareninvasionen« im spätrömischen Reich seien weder barbarisch noch Invasionen gewesen, sondern Wanderungen nicht besonders aggressiver germanischer Völker. So gilt auch das finstere Mittelalter heute als nicht mehr besonders finster. Mag es hie und da eher eine Art Zwielicht gewesen sein, gelegentlich, zum Beispiel in Ravenna mit seinen Mosaiken, war es definitiv hell. In den endlosen Debatten um Wandel und Kontinuität – als wäre Geschichte nicht immer, auch in den kürzesten Abschnitten, eine Kombination von beiden – hat in diesem Fall die Kontinuität triumphiert, außer in Italien selbst, wo die Historiker seit jeher Invasoren ausmachten und Invasionen sofort als solche erkannten. Denn auch wenn die Städte mit einigen Bereichen der römischen Verwaltung in
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