Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)

Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)

Titel: Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gilmour
Vom Netzwerk:
und die Großherzigkeit. Die Justitia oder Gerechtigkeit wirkt besonders beruhigend: Ihre Waage ist im Gleichgewicht, und in jeder Waagschale hockt ein Engel. Wer dort stand, konnte das Gefühl bekommen, mit einer gerechten und mehr oder weniger idealen Regierung zu verhandeln, und dafür hielten sich die noveschi auch.
    Ein Blick auf die Wand zur Rechten und zur Linken verdeutlichte jedoch rasch den Unterschied zwischen einer guten und einer schlechten Regierung und zeigte damit den richtigen Weg. Das Fresko rechts, Die Auswirkungen der guten Regierung, illustriert die Vorteile, die sie verspricht. Die vornehme Stadt ist bevölkert von tanzenden Mädchen, fleißigen Handwerkern, Menschen in schönen Kleidern, die keinen Mangel leiden und denen Muße zum Plaudern, für Lektüre und Brettspiele bleibt. Vor den Toren der Stadt gehen die gleichfalls fröhlichen Bauern nützlichen Tätigkeiten nach: Sie bringen die Ernte ein und dreschen das Getreide. Ihr Wohlstand zeigt sich im Besitz von Hühnern, Eseln und wohlgenährten Schweinen. Solche Freuden fehlen auf dem Fresko zur Linken, den Auswirkungen der schlechten Regierung, wo ein Herrscher mit Teufelshörnern über einer düsteren, gespenstischen Szenerie thront, während innerhalb der Stadtmauern Gewalt die Szene beherrscht: Ein Dolch wird gezogen, Soldaten bemächtigen sich einer Frau, und auf der Erde liegt ein Toter. Die Angst zieht mit gezogenemSchwert durchs Land, die Gerechtigkeit ist bezwungen, ihre Hände gebunden, ihre Waagschalen zerbrochen. *48
    Die Wandbilder von Ambrogio Lorenzetti entstanden zwischen 1337 und 1340, im goldenen Zeitalter der Sieneser Malerei. Es hatte 60 Jahre zuvor mit Duccio di Buoninsegna begonnen, setzte sich mit Simone Martini fort und endete 1348 mit dem Schwarzen Tod, der Lorenzetti, seinen Bruder Piero und alle anderen großen Sieneser Künstler mit Ausnahme von Lippo Memmi hinwegraffte. Duccios subtile Arbeiten standen im Dienst der Religion, doch sein berühmtestes Fresko im Rathaus, Guidoriccio , stellt einen Sieneser General dar. Lorenzettis Meisterwerke sind die politischen Allegorien an den Wänden der Sala della Pace. Die gute Regierung zeigt Alltagsszenen aus dem städtischen und ländlichen Leben mit einem künstlerischen Geschick und einer Liebe zum Detail, die bis Pieter Brueghel unerreicht blieben; zweifellos hat Brueghel die Fresken gesehen, als er Siena 200 Jahre später besuchte. Lorenzetti, im Dienst der Herrscher der Stadt, erfüllte weniger die Rolle des Chronisten als die eines Propagandisten der kommunalen Regierung und des bürgerlichen Lebens, das sich nicht der Religion unterordnet. In diesen Fragen kam der Symbolkraft eine hohe Bedeutung zu. Der Magistrat, der 1338 den Turm des Palazzo Pubblico errichten ließ, sorgte dafür, dass er – obgleich in einer Mulde stehend – den Turm des Doms überragte, der auf einem Hügel thront.
    Siena wirkt noch heute wie ein vom Glück gesegneter Ort, dessen Schönheit allein die Inschrift am Stadttor, der Porta Camollia, rechtfertigt: Cor magis tibi Sena pandit, weit öffnet Siena dir sein Herz. Von der muschelförmigen Piazza del Campo erstrecken sich die drei terzi (Bezirke) entlang der drei Hügel, auf denen die Stadt erbaut ist. Ihre harmonischen Gebäude wurden aus Backstein in jenem warmen Farbton errichtet, der in der Malerei als »gebranntes Siena« bekannt ist. In den Jahren des wirtschaftlichen Wohlstands vor dem Ausbruch der Pest hatte die »Stadt der Jungfrau Maria«, wie sie auch hieß, über 50 000 Einwohner, weitere 50 000 Menschen lebten in ihrem contado , den Landbezirken und Kleinstädten im Süden und Westen, die zum Stadtstaat gehörten. Als Lorenzetti seine Fresken schuf, zählten auch Grosseto und Massa Marittima zu seinem Territorium.
    Siena verdankte seinen Wohlstand auch den Bankiers: Die Bonsignori waren im 13. Jahrhundert die Finanziers der Päpste, und der Monte dei Paschi darf für sich beanspruchen, die älteste Bank der Welt zu sein, denn sie ist ohne Unterbrechung seit 1472 im Geschäft. Der Standortnachteil, den Siena mit vielen von den Etruskern gegründeten Hügelstädten teilt, ist die große Entfernung zum nächsten Fluss und somit eine dürftige Wasserversorgung, die für Manufakturenund deren Arbeitskräfte nicht ausreichte. Deshalb konnte Siena auch nicht mit den Textilbetrieben von Lucca und Prato konkurrieren, die in der nördlichen Toskana direkt an Flussufern liegen. Aber die Sieneser – von Dante der Verstiegenheit

Weitere Kostenlose Bücher