Auf der Suche nach Tony McKay
in Richtung Telefon entfernt. Der Studienrätin ist dies natürlich nicht entgangen, [2] und sie schlägt Alarm. Der Typ, der sich extra eine Stunde frei genommen hat, schwingt sich kurz entschlossen über den Schalter und wirft sich auf den Mann, als er gerade nach dem Telefon greift. Auch die anderen haben jetzt mitbekommen, was da vor sich geht und ein weiterer Mann eilt hinzu und hilft, den Schaltertypen zu knebeln und an einen Stuhl in sicherer Entfernung vom Telefon zu fesseln. Die Umstehenden machen Vorschläge, was man jetzt mit ihm machen sollte, Vorschläge, die die Praktiken in einem Gefängnis in den amerikanischen Südstaaten fast human erscheinen lassen. Mir wird langsam unwohl.
Der Typ, der den Schaltermenschen zu Fall gebracht hat, nimmt ihm seinen Schlüssel ab und wirft ihn der Mutter mit den zwei Kindern zu. ‘Schließ’ mal ab. Ich geh’ hier erst weg, wenn ich mein Paket habe,’ sagt er.
Allgemeine Zustimmung, ‘Wir auch! Absolut!’ Und die Leute, die gekommen waren um ein Paket abzuholen verschwinden in den Lagerraum, um sich zu holen, was ihnen rechtmäßig gehört.
Rosa holt tief Luft und fährt fort:
‘Alles was privatisiert wird, gehört eigentlich dem Volk, gehört uns und niemand hat das Recht, es uns wegzunehmen. Ich sage Schluss mit den Privatisierungen, die Post gehört uns allen!“
Hurra-rufe und wildes Applaudieren.
‘Wir müssen uns erheben, denn solange wir uns nicht bewegen, spüren wir auch unsere Ketten nicht. Wir, die Massen, brauchen keine Politiker, die unser Hab’ und Gut unter unseren Füssen ausverkaufen, wir können uns selber regieren!’
Die Massen in diesem Fall bestehen aus circa zwölf Leuten, Rosa und mich eingeschlossen. Die, welche mittlerweile ihre Pakete in Besitz genommen haben, machen Anstalten, nach Hause zu gehen und zeigen wenig Interesse an einer sofortigen Re-Verstaatlichung unserer Postfiliale.
Die beiden kleinen Kinder sind unruhig geworden: eines fängt an herumzurennen, das andere hängt an Mutters Hosenbein, fordert eine Rosinenschnecke und gibt dann langgezogene Heultöne von sich. Die Mutter sieht gestresst aus. Sie guckt entschuldigend in unsere Richtung, während sie ihren Nachwuchs in die Doppelkarre schnallt und zur Tür hinaus schiebt. Einige andere Leute folgen. Das rote Rentnerpaar diskutiert über die besten Wege, das Gebäude zu verbarrikadieren. Die Studienrätin guckt leicht angewidert, geht dann hinter den Schalter, sucht sich zwei Briefmarken und legt den exakten Betrag dafür in die Kasse. Dann wendet sie sich mit den Worten, ‘Sie werden noch von mir hören,’ zu dem gefesselten Postangestellten und stiefelt hinaus.
Ich schaue zu Rosa und zeige auf meine Uhr. Wir sollen in zwei Stunden in Westerdeichstrich sein und müssen vorher noch zu Harry’s Bar, um den Wodka zu holen. Andererseits könnten sie uns für unterlassene Hilfeleistung drankriegen, wenn wir den Schaltertypen in den Händen der radikalen Rentner lassen.
‘Ich denke, wir sollten ihn gehen lassen,’ sagt Rosa zu den Rentnern, ‘er kann uns ja doch nicht mehr nützen.’
‘Au contraire,’ widerspricht ihr die ältere Dame und rückt ihr schwarzes Barrett zurecht. ‘Den brauchen wir als Geisel, bis unsere Forderungen erfüllt sind.’
Das Ganze hat eine Eigendynamik entwickelt, die mir nicht behagt.
‘Was fordern wir denn genau?’ will ich jetzt wissen.
‘Oh, dazu werden wir eine Versammlung haben und alles ganz genau ausdiskutieren. Ad hoc möchte ich mal sagen: Re-Verstaatlichung der Post, staatlich subventionierte Kaffeepreise, die sofortige Abschaffung sämtlicher Volksmusik-Programme aus dem deutschen Fernsehen und dass Dieter Bohlen jemand seines eigenen Alters heiraten muss. Was denkst du, Dieter?’
‘Häh, was sagst du Hilde?’
‘Wofür wir kämpfen, Dieter,’ schreit sie in seine Richtung.
‘Ich will, dass Dagmar Berghoff wieder die Nachrichten liest,’ sagt Dieter nun trotzig.
‘Ach, du und die Berghoff,’ schreit Hilde genervt zurück und guckt uns an.
Der Mensch hinter dem Schalter macht gurgelnde Geräusche hinter seinem Knebel und möchte ganz augenscheinlich auch einen Beitrag zur Diskussion leisten. Rosa hüpft über den Schalter und nimmt ihm den Knebel ab.
‘Besser,’ sagt er atemlos und dann in Richtung von Hilde und Dieter, ‘ich bin dafür, dass wir den Solidaritätsbeitrag abschaffen und Ostdeutschland den Ossis zurückgeben.’
‘Ja, ich weiß nicht, ob das jetzt noch so einfach geht,’
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