Auf der Suche nach Tony McKay
antwortet Hilde nachdenklich, ‘aber das können wir nachher alles in Ruhe diskutieren. Junge Frau, binden sie doch mal den Herrn Hubert vom Stuhl los.’
Rosa tut, wie ihr aufgetragen wurde. Hubert reibt sich die Handgelenke.
‘Sind Sie denn sicher, dass wir uns die Post zurückholen können?’ will der Herr Hubert jetzt von Hilde wissen.
Sie lächelt ihn zuversichtlich an. ‘Oh natürlich, Herr Hubert. Damals im Widerstand haben wir ganz andere Dinge ausgeheckt, nicht wahr Dieter?’
Dieter guckt Hilde schwerhörig an und antwortet leicht erbost, ‘Wie kommst du auf Dieter Thomas Heck, der hat doch nie die Nachrichten gelesen! Dagmar Berghoff will ich haben!’
Hilde wirft Dieter einen giftigen Blick zu, schüttelt dann den Kopf und zuckt mit den Achseln.
‘Ich glaub’ ich mach’ uns mal ‘ne Tasse Kaffee, ne?’ sagt Hubert und schlurft in Richtung einer kleinen Küche neben dem Lagerraum.
‘Das ist eine wunderbare Idee Herr Hubert, keine Revolution, ohne eine schöne Tasse Kaffee sage ich immer,’ und Hilde strahlt uns an.
‘Ähm, Sie brauchen uns ja dann vorerst nicht mehr, oder?’ frage ich Hilde, die sich daran gemacht hat die Gardinen vor dem hinteren Fenster abzunehmen und mit Hilfe einer Schere, die sie hinter dem Schalter gefunden hat, auf die Größe eines Banners zuzuschneiden.
‘Nee, geht Ihr nur. Aber seht zu, dass Ihr heute Abend wieder zurück seid, dann tagt das Politbüro,’ sagt sie zuckersüss.
‘Klar,’ sagt Rosa, ‘bis später dann.’ Und damit lassen wir die Revolution in den Händen von Hilde, Dieter und Hubert und verschwinden nach draussen in den dichten Nebel.
In Westerdeichstrich
Wir parken Rosas alte Blechschüssel vor dem Hintereingang zu Harry’s Bar. Die Fahrt nach Westerdeichstrich kann lustig werden. Ich hoffe nur, dass sonst niemand so dämlich ist, bei diesem Wetter Auto zu fahren, ansonsten sehe ich uns als Organspender in der Hamburger Uniklinik enden.
Rosa fingert mit dem Schlüssel herum und flucht leise. Ich dreh mich um und kann kaum mehr das Auto sehen, obwohl es nur einige Meter von der Tür entfernt geparkt ist, so dicht ist der Nebel jetzt. Rosa schafft es schließlich doch noch, die Tür aufzuschliessen, macht drinnen Licht und wir gehen zum Vorratsraum. In diesem stapeln sich Kisten und Kartons mit Spirituosen dubioser Provenienz. Die Beschriftung auf fast allen scheint Polnisch zu sein.
‘Wo kriegt der denn das ganze Zeug her?’ frage ich Rosa.
‘Nikolaj. Alle paar Wochen taucht der hier am Hintereingang mit seinem Lieferwagen auf. Harry ruft mich dann meistens, um ihm zu helfen das Zeug ‘rein zu schleppen. Dieser Nikolaj ist eine total schmierige Nummer. Der hat angeblich auch Beziehungen nach Hamburg zu gewissen organisierten Gruppierungen,’ hier tippt Rosa zweimal gegen die Seite ihrer Nase.
‘Was macht ihr denn mit dem ganzen Alkohol, polnischer Wodka geht doch eher schleppend in H., oder?’
‘Was denkst du denn, wo der “Grappa” herkam, den wir letzte Woche getrunken haben? Ein Tip: es liegt näher an Kattowitz, denn an Venedig.’
Wir fangen an, Kisten in den Kofferraum von Rosas Auto zu laden. Der Nebel wabert nun auch in das Haus hinein und wir stehen bald in dem Schnapslager knöcheltief darin. Nach fünfzehn Minuten stummer Arbeit sind Kofferraum und Rückbank voller Schnapskisten. Das Auto sieht so aus, als würde es sich in Kürze aufbäumen.
Rosa schliesst die Hintertür wieder ab, geht zum Auto und holt einen großen Umschlag hervor aus dem sie aufklebbare Schilder zieht. Auf diesen steht:
Appellation Cognac Petite Champagne Contrôlée
Napoléon, VSOP
Vintage
‘Wo hast du denn die her?’ will ich wissen.
‘Selber gemacht,’ antwortet Rosa.
‘Und den Text darauf?’
‘ L’encyclopédie du Cognac , hab’ einfach einiges zusammengeschrieben. Keine Ahnung, ob das Sinn macht, aber ich schätze das Französisch der Jungs in Westerdeichstrich geht nicht über “Bon Jour” hinaus.’
Wir kleben die Schilder vorsichtig über die handgeschriebenen und mit Tesafilm aufgeklebten polnischen Zettel und transformieren den selbst gebrannten Wodka aus Kattowitz in Vintage Cognac aus Frankreich.
Damit machen wir eigentlich auch nichts anderes als all die großen Klamotten- oder Parfümfirmen zum Beispiel, die ihre Waren billig in der dritten Welt herstellen lassen, und dann ein Vermögen für Werbung und Branding ausgeben. Es geht heutzutage immer weniger um das Produkt selber und
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