Auf der Suche nach Tony McKay
dessen Qualitäten, sondern nur mehr um das, was mit dem Produkt oder vielmehr dem Label assoziiert wird. Und vor diesem Hintergrund gewinnen unsere kriminellen Aktivitäten zumindest einen Hauch von theoretischer Rechtfertigung. Denn wie den Kapitalisten, geht es uns in dieser Situation letztendlich auch nur um den Profit.
‘Image ist alles,’ sagt Rosa und grinst, ‘und jetzt bloß weg hier.’
Wir steigen in ihr Auto und machen uns vom Hof.
Die Sichtweite auf der Strasse ist unter zehn Metern, entsprechend langsam kommen wir voran. Als wir endlich aus der Stadt raus sind, werden die Sichtverhältnisse geringfügig besser.
‘Kennst du den Weg nach Westerdeichstrich?’ frage ich Rosa.
‘Eigentlich ja, aber in diesem Nebel würde es mich nicht wundern, wenn wir in Dänemark enden.’
‘Und du kennst den Wirt dort durch Harry?’
‘Ja. Ich bin ein paar Mal mit hingefahren, wenn Harry ihm den Schnaps verkauft hat. Hinnerk heißt der. Mir ist allerdings nicht wirklich klar, was der mit dem ganzen Sprit anstellt, denn dessen Kneipe ist echt nicht groß, und in Westerdeichstrich gibt es ungefähr sechs Einwohner. Statistisch gesehen ist der Alkoholkonsum hinterm Deich zwar mehr als doppelt so hoch wie im Binnenland, aber selbst wenn man das mit einkalkuliert, können die da unmöglich soviel saufen.’ [3]
Die Straße in Richtung Deich ist ziemlich gerade, was bei dieser Nebelsuppe enorm hilfreich ist. Als wir nach einer kleinen Ewigkeit das Ortsschild von Westerdeichstrich passieren, schießt plötzlich aus dem Nebel etwas Grünes direkt auf uns zu. Rosa reißt das Steuer zur Seite und wir geraten ins Schleudern. Mit großer Mühe gelingt es ihr dann doch, das Auto wieder unter Kontrolle zu bringen. Was auch immer auf uns zugeschossen kam, rast weiter ohne Anzuhalten. Rosa hält am Straßenrand an. Auf der Rückbank klirren die Wodkaflaschen.
‘Was zum Kuckuck war das denn?’
‘Keine Ahnung, sah aus wie ein Grashügel auf Rädern,’ erwidere ich und presse meine Hände auf meine Knie, um das Zittern zu kontrollieren.
‘Bist du ok?’ frage ich Rosa.
‘Naja, so gerade eben. Das hätte schief gehen können. Ich check mal die Flaschen.’
Doch wir haben Glück, alles ist heil geblieben.
Wir halten an einer finster aussehenden, alten Kate direkt hinter dem Deich an. Die Fenster sind schwach erleuchtet. Wir steigen aus und gehen hinein.
Es riecht nach altem Rauch und Bier. Hinter dem Tresen steht ein Typ unbestimmten Alters mit Vollbart. In einer Ecke sitzt ein alter Mann mit einer Schiffermütze vor einem Glas Bier und guckt uns halb misstrauisch, halb neugierig an. An einem anderen Tisch sitzen zwei blonde Männer in ungefähr unserem Alter stumm vor einer Flasche Schnaps. Ansonsten ist der Laden leer.
‘‘N’ Abend,’ sagt Rosa. Hinnerk hebt kurz das Kinn und grunzt zur Antwort.
Die beiden Blonden sagen ‘Hej’ und grinsen uns an.
Jetzt ist es wichtig, dass Rosa unsere Geschichte überzeugend verkauft. Die Typen hier sehen nicht so aus, als ob sie viel Mitgefühl hätten, wenn sich herausstellt, dass man ihnen geklauten, polnischen Sprit als exklusiven französischen Cognac verkauft hat.
‘Harry schickt mich mit ein paar Kisten Cognac. Hat gesagt, du würdest den Kram abnehmen.’
‘Hm,’ macht Hinnerk und guckt unergründlich. ‘Das Übliche?’
‘Nee, nicht den Fusel von sonst,’ sagt Rosa etwas nervös und zupft sich am Ohr.
‘Harry hat ‘ne Ladung alten französischen Cognac geschossen, zu viel für uns, und da dachte er, dass du vielleicht dafür Bedarf hast. Das ist erstklassiges Zeug.’
Hierbei zieht sie eine der Flaschen hervor und hält sie Hinnerk hin. Mein Gott, denke ich, bitte lass ihn ganz kurzsichtig sein!
Hinnerk betrachtet die Flasche und grunzt wieder. Dann nickt er den beiden blonden Männern zu und reicht die Flasche an sie weiter.
‘Die kommen von Norwegen mit’n Boot,’ sagt er, als ob das irgendetwas erklären würde. Er greift hinter sich, stellt drei Schnapsgläser auf den Tresen und guckt uns fragend an.
‘Immer doch,’ antwortet Rosa für uns beide. Hinnerk gießt die drei Gläser randvoll. Er leert seines in einem Zug aus und wartet, dass wir es ihm gleichtun. Wahrscheinlich ist dies Teil des Rituals, das das Abschließen von faulen Geschäften begleitet. Ich setze das Glas an, schließe die Augen und kippe das Zeug in einem Zug herunter, hoffend, dass der Kontakt mit den Geschmacksnerven in meinem Mund zu kurz sein wird, um
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