Auf der Suche nach Tony McKay
Damentoilette ist eine lange Schlange. Kein Wunder, dass Heiko so lange braucht. Ich reihe mich ein. Heiko kommt nicht an mir vorbei, während ich warte. Als ich endlich in die Toilette selber trete rufe ich, ‘Heiko?’ Die umstehenden Frauen werfen mir fragende Blicke zu. Ich realisiere meinen Fehler und verschwinde schnell in einer freiwerdenden Kabine. Antwort habe ich nicht erhalten.
Wieder auf dem Gang, gucke ich in Richtung Treppe und als ich da keinen Türsteher sehe, drehe ich mich nach rechts und schlüpfe in die Männertoilette. Diese ist komplett leer, hingegen ist die einzige Kabine da drinnen abgeschlossen.
‘Heiko?’
‘Maggie? Gott sei Dank, dass du kommst, ich bin hier drinnen.’
Er öffnet die Tür, guckt verstohlen heraus und schließt sie wieder hinter mir.
‘Ich habe ein Problem,’ eröffnet er mir.
‘Du brauchst einen Tampon,’ sage ich.
Er guckt mich verständnislos an.
‘Vergiss es,’ sage ich, ‘schlechter Witz. Was ist das Problem?’
‘Der Reißverschluss hat sich in der Strumpfhose festgehakt. Ich krieg’ den nicht mehr los, außerdem ist die Strumpfhose jetzt total zerrissen,’ sagt er verzweifelt.
‘Kein Problem, ich hab’ eine Ersatzstrumpfhose dabei. Warum hast du das Kleid überhaupt aufgemacht?’ frage ich ihn und versuche, den Reißverschluss zu lösen.
‘Na, um auf Toilette zu gehen natürlich,’ sagt Heiko.
‘Also wir Frauen ziehen unsere Kleider normalerweise hoch und halten sie dann um die Bauchmitte fest, wenn wir, du weißt schon...’
Er denkt nach. ‘Ja, so kann man das wohl auch machen.’
Während ich noch mit dem Reißverschluss beschäftigt bin, geht die Tür auf und eine Stimme fragt, ‘Maggie, Heiko?’
‘Hier drin, Rosa,’ sage ich, ‘wir haben hier eine Strumpfhose-in-Reißverschluss-Situation.’
‘Kann ich helfen?’
Rosa kommt zu uns in die Kabine. Während wir mit vereinten Kräften Heikos Strumpfhose aus dem Reißverschluss befreien, geht abermals die Tür.
Wir gucken uns an und ich lege den Finger an den Mund. Vermutlich sind das nur Frauen, denen das Warten vor der Frauentoilette zu lange dauerte, aber es ist besser, vorsichtig zu sein.
‘Also, was is’, wo ist Geld?’ will eine Stimme mit osteuropäischem Akzent wissen.
‘Ich hab’ Nikolaj doch schon gesagt, dass ich morgen Abend alles haben werde,’ lamentiert Lothar.
‘Morgen Abend nix gut, sagt Nikolaj, muss heute Geld geben.’
‘Sag’ Nikolaj er kriegt sein Geld, ich geb’ mein Wort. Kannst alle hier auf St.Pauli fragen, auf Lothars Wort ist Verlass, das ist Gold wert. Wenn Lothar was sagt, dann ist das so sicher wie Steuern und der Tod.’
Nikolajs Geldeintreiber zeigt sich unbeeindruckt, nicht klar ob aufgrund der Tatsache, dass Lothar angefangen hat, von sich selber in der dritten Person zu reden, oder ob die rhetorische Figur über seinen Horizont geht.
‘Nikolaj sagt, Geld heute, sonst gibt Ärger.’
Stille, man kann Lothars Gehirn förmlich arbeiten hören.
‘Aber er hat doch immer sein Geld bekommen, ich habe doch immer bezahlt,’ sagt Lothar nun den Tränen nahe.
‘Du gehst und holst Geld, sonst...’ droht der Osteuropäer.
‘Ich kann vielleicht die Hälfte jetzt zahlen und den Rest morgen, ok?’ versucht Lothar sich ein wenig Luft zu verschaffen.
‘Du gehst und holst alles Geld, schnell!’
Wir hören die Tür, dann sind wir mit dem Geldeintreiber allein. Ich spähe durch den Schlitz zwischen Tür und Rahmen und sehe den Typen mit einem Kamm in der Hand vor dem Spiegel stehen und seine gelnassen Haare nach hinten kämmen. Die Tür geht wieder auf und Lothar ist zurück.
‘Hier sind 20.000 Euro, das ist alles, was ich im Moment habe,’ jammert Lothar.
‘20.000 nicht genug,’ knurrt die Gel-Frisur, ‘50.000 oder ich mache Loch in dein Knie!’
‘Nicht schießen,’ schreit Lothar hysterisch.
Wir hören Gerenne, Gerangel und dann einen Schuss gefolgt von lautem Schreien – nicht einer Stimme, sondern zweier.
Heiko, Rosa und ich stürzen aus der Toilette. Um das Chaos komplett zu machen, verfangen sich Heikos Stöckel in seiner zerrissenen Strumpfhose, er knallt der Länge nach hin und der Inhalt seiner Handtasche verteilt sich im Raum. Lothar und die Gel-Frisur winden sich in einem unordentlichen Haufen auf dem Boden - Lothar hält sein blutendes Bein und der Geldeintreiber seine Schulter. Heiko beginnt hastig seine Sachen wieder in die Handtasche zu kramen. Der Umschlag mit den 20.000 Euro liegt neben der
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