Auf der Suche nach Tony McKay
Straße sagt niemand etwas, wir sind wie betäubt. Wir gehen mechanisch in Richtung der U-Bahn Station Wall Street. Heiko kümmert sich nicht darum, ob er Leute anrempelt und einige beanzugte Banker rufen ihm Unfreundlichkeiten hinterher. Britta und ich laufen hinter ihm und gucken uns besorgt an. Rosa von den Sicherheitsorganen hier verhaftet, der größte Teil unseres Geldes weg und Heiko kurz davor, an irgendeinem Banker ein Exempel zu statuieren, was dann wohl notwendig auch zu seiner Sicherungsverwahrung führen dürfte - und dann waren’s nur noch zwei.
Heiko geht also vorneweg und schubst wer auch immer in seinem Weg auftaucht mit dem Ellenbogen zur Seite. Bis auf einmal eine Reihe von rot-weißen Verkehrshütchen uns den Weg versperren. Diese laufen quer über den Bürgersteig bis zum Straßenrand. Gut deutsch wie wir sind, bleiben wir natürlich stehen, während das Fußvolk des Kapitalismus des 21.Jahrhunderts die Hütchen einfach auf der Straße umgeht. Auf der anderen Seite der Verkehrshütchen steht ein älterer Mann mit etwas wirren grauen Locken in einer reflektierenden Verkehrsweste und ist dabei, noch mehr Hütchen am anderen Ende des Gebäudes zu unserer Linken zu verteilen und das Gebäude derart abzusperren. Er kommt mir irgendwie bekannt vor.
‘Ist das nicht der Typ von dem CoffeeAllstars an der Upper West Side?’ fragt Britta.
Der Mann hat ein Schild an die Wand neben der Eingangstür gelehnt auf dem “Citizen’s Arrest of Goldman Sachs CEO - All Join in!” steht. Ich gucke Britta an, ‘Citizen’s Arrest? Was hat der denn vor?’
‘Ein “Citizen’s Arrest” ist so etwas wie eine Jedermann-Festnahme. Jeder, dem ein Krimineller in die Quere kommt kann den verhaften und so lange festhalten, bis die Polizei kommt.’
Der Typ mit der Verkehrsweste hat also vor, den Chef einer der größten Banken in den USA festzunehmen. Und dann der Polizei zu übergeben. Nach unserer Erfahrung gerade eben, habe ich ein gewisses Maß an Verständnis für den Mann. Vielleicht hatte der ja auch irgendwann einmal 100.000 Dollar, bis ein Banker ihm die weggenommen haben.
Wir gucken uns das Schauspiel an. Nachdem Bill, der CoffeeAllstars-Protestant, den Bürgersteig in beide Richtungen abgesperrt hat, greift er sich ein Megaphon. Er klagt den CEO an, die Milliarden, die seine Bank an amerikanischen Steuergeldern eingeheimst hat, für Bonuszahlungen an die Banker verwendet zu haben, die die Finanzkrise verursacht haben, ja diese also für ihre Inkompetenz noch mit Steuergeldern belohnt werden, während einfache Bürger ihre Jobs und Häuser verlieren. Er fordert, dass der CEO ebendiese Milliarden, wieder an die amerikanischen Bürger zurückzahlt. Während er noch auf dem Bürgersteig auf und ab läuft und ein paar Handschellen schwenkt, tauchen auf einmal von rechts drei schwarz gekleidete Männer auf. Nach Polizei sehen die eher nicht aus, haben aber eine gewisse Ähnlichkeit mit denen, die Rosa am Flughafen mitgenommen haben. Sie reißen Bill das Megaphon aus der Hand und werfen ihn zu Boden, einige der umstehenden Banker applaudieren. Dann zertreten die Männer sein Schild, schlagen es ihm über den Kopf und sammeln die Verkehrshütchen wieder ein.
Bill liegt am Boden und blutet aus der Nase und einer Augenbraue. Britta, Heiko und ich knien bei ihm nieder, ich krame eine Packung Tempotaschentücher hervor und drücke ihm eines auf seine Augenbraue.
‘Sollten wir nicht lieber einen Krankenwagen rufen?’ fragt Heiko.
Bill stöhnt. Unter seinem Kopf bildet sich gerade eine Blutlache.
Ich drehe mich um. ‘Someone call 911, we need an ambulance!’
Aber die Banker wenden sich einer nach dem anderen ab, einer spuckt neben Bill auf die Erde. Das gibt’s doch nicht, der könnte hier vor aller Augen verrecken, und die interessiert nur, wo der nächste Bonus herkommt.
Bill kommt langsam wieder zu sich. Er fasst sich an den Kopf und beguckt dann seine Hand, die voller Blut ist.
‘What happened?’ fragt er, ‘did he get away?’
‘Well,’ sagt Britta und hilft ihm, sich aufzusetzen, ‘some guys in black suits suddenly turned up.’
Ich helfe Bill, das Blut abzuwischen, er sieht ziemlich ramponiert aus. In dem Augenblick öffnet sich die Tür des Goldman Sachs Hauptquartiers und ein unattraktiver Mann mit Halbglatze tritt umringt von Sicherheitsleuten auf die Straße. Er wirft einen verächtlichen Blick auf uns, so als wären wir Ungeziefer, das ausgerottet gehört, und steigt dann in eine
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