Auf die feine Art
wenig ausgefallen war.
»Aber ist das hier nicht auch so was wie ein Aufreißlokal? Wie viele Männer kommen denn her, um eine Sexpartnerin zu suchen? Und warum haben manche Männer ganz normale Terylenanzüge an?« Meine Weinflasche war schon zur Hälfte leer, die ärgsten Hemmungen schwanden allmählich.
»Also, mit dem Aufreißen ist es nicht so weit her. Wie du siehst, ist das Verhältnis Frauen zu Männer eins zu drei. Mindestens die Hälfte der Frauen sind Lesben, die sich alle genau kennen. Von der anderen Hälfte kommen viele mit ihrem festen Partner. Es gibt nicht viel freies Potenzial, nimm dich also in Acht«, warnte Engel mit irritierendem Lächeln.
»Was sucht denn Kimmo hier?«
»Dasselbe wie die meisten anderen. Die Gewissheit, mit seinen Neigungen nicht allein zu sein. Außerdem kann man hier seine neuen Klamotten vorführen und andere anschauen. Sex hat Kimmo hier jedenfalls nicht gesucht. Wie ich dir am Telefon schon gesagt hab, hing er viel zu sehr an seiner Armi. Er hat ihr offenbar verheimlicht, in welchen Kreisen er verkehrt. Kimmo ist sehr aktiv, er hat Feten organisiert und zusammen mit Joke unsere Rundschreiben verfasst.« Engel sprach den Namen des anderen Mannes englisch aus, wie das Wort für Witz. »Joke kommt heute auch, ich kann dich mit ihm bekannt machen.«
»Was waren denn das für Performances, die ihr vorgeführt habt?«
»Kimmo ist Masochist. Ich bin mal dies und mal das, Sklavin oder Domina, ich steh auf Männer und Frauen.« In Engels Lächeln lag jetzt etwas Herausforderndes, dem ich nicht gewachsen war. »Wir haben Szenen gestellt, in denen ich Kimmo auf verschiedene Weise erniedrige, ich hab ihn gefesselt, gepeitscht, geknebelt … So was erregt ihn, aber er traut sich nicht, mehr zu wollen. Da oben auf der Bühne ist er ein ganz anderer Mensch, überhaupt nicht so schüchtern und zurückhaltend wie sonst. ’tschuldige, ich werd am Eingang gebraucht. Bin gleich wieder da!«
Als Engel mich verließ, fühlte ich mich wie ausgesetzt. Ich drückte mich enger an die Wand, trank Wein und beobachtete verstohlen die anderen Leute. Mitten im Raum tanzte ein Paar, eine Frau meiner Größe im superkurzen, tief ausgeschnittenen Latexkleid, mit rasselnden Ketten behängt, und ein großer Mann mit Bürstenhaarschnitt in einer Naziuniform aus Gummi. Vermutlich ein grundsolides Ehepaar, das sich einen schönen Abend machte. Wie sie es wohl geschafft hatten, sich umzuziehen, ohne dass der Babysitter etwas merkte?
Gierige Erwartung lag in der Luft. Die Anwesenden maßen einander unverblümt. Einer der Terylenmänner starrte mich an, als brenne er darauf, meine Bekanntschaft zu machen. Ich wandte den Blick ab. In einer Ecke standen zwei Lederboys, die den Zeichnungen von Tom of Finland aufs Haar glichen, und küssten sich leidenschaftlich. Ein dritter Mann, der aussah wie ein Finanzbeamter, starrte sie lüstern an. Der Terylentyp rückte näher, verzog sich aber zum Glück, als Engel angerauscht kam.
»Eine Verwechslung bei den Freikarten«, erklärte sie. »Aber ich wollte noch was zu unseren Performances sagen. Die hat sich Kimmo ausgedacht. Er wusste haargenau, was er wollte. Ich hab nach seiner Regie gespielt. Dass er es genießen würde, zu dominieren, kann ich mir schwer vorstellen. Er ist ein lupenreiner Masochist, er will von anderen beherrscht werden.«
»Das hab ich auch schon gemerkt«, knurrte ich und erklärte Engel, wie ich mich heute geärgert hatte, als Kimmo das arme Würmchen spielte. Wieder lachte sie ihr verführerisches Lachen.
»Deswegen kann ich mir auch nicht vorstellen, dass Kimmo diese Armi ermordet hat. Er ist so passiv. Sicher sind nicht alle Sadomasofetischisten brave Bürger, aber die wenigsten trauen sich, ihre Phantasien im Alltag auszuleben. Außerdem hat Kimmo nie davon phantasiert, seine Freundin zu würgen.«
»Für Sanna Hänninen waren diese Dinge aber Alltag, hast du gesagt. Erzähl mir von ihr!«
»Sanna ist schon ganz am Anfang zu uns gestoßen, mit einem Mann, Ode Hakala. Dieser Ode war ein ziemlich gefährlicher Bursche, ein Junkie und Dealer. Jetzt sitzt er schon seit ein paar Jahren im Gefängnis. Die beiden haben hier ziemlich harte Szenen hingelegt, wir mussten sie immer wieder bremsen … Für die war Schlagen und Demütigen kein aufregendes Ritual, sondern totaler Alltag. Wir haben uns sogar überlegt, ob wir solche Leute überhaupt dabeihaben wollen. Hast du Sanna gekannt?«
Als ich nickte, fuhr Engel fort: »Dann verstehst du es
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