Auf die feine Art
tätowierter Mann saß im Lotussitz mitten auf der Bühne, ließ sich von einer mindestens genauso üppig tätowierten, spindeldürren Frau frisch sterilisierte Akupunkturnadeln reichen und steckte sich eine nach der anderen in die Haut. Die Schwaden aus dem Nebelwerfer vermischten sich mit Krankenhausgeruch. Auf der Tanzfläche tobte sich ein junger Mann in Stöckelschuhen aus. Ich kam mir so verloren vor, dass ich trotz meiner guten Vorsätze an die Bar marschierte und mir noch ein Fläschchen Wein kaufte. Das Zeug schmeckte irgendwie besser als die erste Flasche. Ich trat näher an die Bühne und beobachtete die ritualisierte Nadelperformance, zwang mich zuzusehen, wie die Nadelspitzen in die Haut des Mannes eindrangen und ein Stückchen weiter wieder zum Vorschein kamen, am Oberschenkel, am Arm, schließlich auch am Hals … Ob er etwas spürte? War er ein Yogi oder so was, konnte er seine körperliche Hülle verlassen?
»Ey Mädchen, macht dich das an?«, fragte eine Männerstimme. Ich hob unwillkürlich den Blick und sah einen ganz normalen, nett wirkenden Mann im klassischen Rebellenoutfit: Jeans, weißes T-Shirt und eine schwarze Lederjacke, die meiner ziemlich ähnelte.
»Nee, eigentlich nicht.«
»Na dann, wollen wir tanzen?«
Warum nicht, dachte ich mir, und wir tanzten zum Getöse von Syntheziser und Schlagzeug, was die Beine hergaben. Vielleicht war ich tatsächlich noch einmal achtzehn und zum ersten Mal erlaubterweise in einer Kneipe, auf der Suche nach dem Einen, dem Richtigen. Als dann auch noch der alte Hit von Pelle Miljoona, »Ich will mit dir schlafen«, aus den Lautsprechern dröhnte, fühlte ich mich vollends in die Zeit Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre versetzt, auf eine der Oberstufenpartys, auf denen Sanna neben mir zur gleichen Musik tanzte …
Sanna! Ich war doch nicht zum Tanzen hier. Als Pelle mit seinem Lied fertig war, verließ ich die Tanzfläche. Mein Kavalier folgte mir auf dem Fuß.
»Genug getanzt? Einen tollen Rock hast du an.« Der Typ begutachtete meinen Körper mit dem gleichen Blick wie Dr. Hellström. »Wenn Piercing nicht dein Ding ist, worauf stehst du dann? Bist du ’ne Domina?«
»Ich bin alles Mögliche, mein Sternzeichen ist nämlich Fische, deswegen bin ich wechselhaft, veränderlich und vielseitig«, gab ich zurück und versuchte, Engels herausfordernden Tonfall nachzuahmen.
»Alles Mögliche … Klingt interessant. Ich heiße Sebastian«, sagte der Mann und reichte mir die Hand.
»Ich bin Maria.«
»Aber keine Jungfrau?« Ich zog meine Hand zurück.
»Ein blöder Witz und alt dazu.«
»Verzeihung, Herrin. Ich werde mir bessere einfallen lassen.«
Als Sebastian sich verbeugte wie ein Höfling aus einem Film der vierziger Jahre, ging mir auf, dass ich, ohne es zu wollen, ein Rollenspiel in Gang gesetzt hatte, aus dem ich mich wieder herauswinden musste. Mir fiel nichts Gescheiteres ein, als möglichst hochmütig zu säuseln: »Auf Männer, die alte Witze erzählen, lege ich keinen Wert!« Dann marschierte ich zurück in den vorderen Raum und hielt nach Engel Ausschau. Da war sie ja, sie sprach ausgerechnet mit dem dunkellockigen Prachtkerl. Als sie mich bemerkte, winkte sie einladend.
»Das ist Joke«, stellte sie mir den Augenschmaus vor.
Joke erkundigte sich nach Kimmo. Sein besorgter Tonfall passte nicht recht zu seinem Äußeren. Bis hin zu der Reitpeitsche am Gürtel glich er dem düsteren Helden eines Schauerromans, der die weibliche Hauptgestalt zuerst auspeitscht, nur um sie dann zu umarmen und ihr ins Ohr zu flüstern, er strafe sie nur aus Liebe.
»Seid ihr bereit, für Kimmo auszusagen und zu bestätigen, dass er nicht gewalttätig ist? Könnt ihr bezeugen, dass … Verdammte Scheiße!«
Vor dem Mädchen, das die Eintrittskarten verkaufte, stand mit gezücktem Dienstausweis kein anderer als Herr Kriminalkommissar Pertti Ström. Er schaffte es tatsächlich, umsonst eingelassen zu werden, drehte sich um und musterte die Anwesenden mit der gleichen angewiderten Miene, die meine Mutter aufsetzte, wenn sie Silberfischchen im Mehl entdeckte.
»Das ist der Mann, der Kimmo verhaftet hat. Ein absoluter Hornochse«, erklärte ich Engel und Joke. Wenn Pertti hier auftauchte, konnte das eigentlich nur bedeuten, dass er doch nicht ganz von Kimmos Schuld überzeugt war. Vielleicht hatte ich ihn auch unterschätzt, er hatte sich seine Karriere doch nicht mit den Ellenbogen erkämpft, sondern war tatsächlich ein guter Ermittler, der
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