Auf die feine Art
Antwort zu verweigern, wenn so etwas noch einmal vorkam, aber er schüttelte nur apathisch den Kopf.
»Was nützt das schon … Die versteifen sich drauf, dass ich es getan hab. Ich komm sowieso ins Gefängnis … Und überhaupt, mir ist alles egal, seit Armi tot ist …« Er hing kraftlos auf seinem unbequemen Stuhl, seine Augen waren gerötet. Ich hatte große Lust, ihm einen Tritt zu versetzen.
»Kimmo, du musst dich wehren! Wir sind hier nicht bei Kafka, das hier ist das richtige Leben. Wenn du unschuldig bist, können sie dich nicht ins Gefängnis werfen. Warum, in drei Teufels Namen, hast du mir nicht von Armis Vermutung erzählt, Sanna wäre ermordet worden? Wie kam sie überhaupt darauf?«
»Ich weiß nicht«, greinte Kimmo. Am liebsten wäre ich aufgestanden und hätte das Häufchen Elend sich selbst überlassen.
»Ich weiß wirklich nicht, wieso sie sich das in den Kopf gesetzt hat. Es kam mir vor, als hätte sie nur versucht, meine Eltern zu trösten. Ich bin mir jedenfalls ganz sicher, dass Sanna sich das Leben genommen hat.« Kimmo schaute an mir vorbei in eine Welt, die nur ihm sichtbar war. Ich dachte an Sannas grüne Arme, die im Traum nach mir griffen, und überlegte, ob Kimmo je von seiner Schwester träumte.
»Sicher, Sanna hat davon geredet, mit dreißig ein neues Leben anfangen zu wollen, und uns vorgeschwärmt, wie glücklich sie mit Make ist, aber vom Alkohol und von den Tabletten wäre sie bestimmt nicht mehr losgekommen. Vielleicht hat Sanna sich umgebracht, weil ihr das klar geworden ist. Antti meint auch, dass sie damit ihren Selbstmord ankündigen wollte.«
»Warum hat Armi erst jetzt behauptet, dass Sanna ermordet wurde? Das ist doch schon mehr als ein Jahr her!«
»Sie hatte die finnische Übersetzung von dem Gedicht gelesen und meinte, da ginge es nicht um Selbstmord, sondern um Wiedergeburt. Ich weiß nicht, ich bin kein Literaturwissenschaftler. Lies es selbst!«
Insgeheim wunderte ich mich über Kimmos Worte. Eigentlich hatte Armi keinen literaturinteressierten Eindruck gemacht. Ich versuchte mich zu erinnern, ob ich in ihrem Bücherregal außer Eino Leinos Gesammelten Werken irgendwelche Lyrikbände gesehen hatte. Dass sie Sylvia Plath’ Gedichte analysierte, passte überhaupt nicht zu dem Bild, das ich mir von Armi gemacht hatte.
Ich überreichte Kimmo die Naturkundebücher, die Antti mir für ihn mitgegeben hatte und die ihm die schlimme Zeit in der Zelle erträglicher machen sollten. Nach Feierabend ging ich zu Marita, um meinen Lederrock enger zu nähen. Sie führte mich in die Küche, wo die Nähmaschine stand, hatte zu meiner Enttäuschung aber keine Zeit, sich mit mir zu unterhalten, weil eine Kollegin zu Besuch gekommen war. »Eine alte Klatschbase«, sagte Marita verbittert. Da erst ging mir auf, dass Armis Ermordung in Tapiola natürlich die große Sensation sein musste. Vielleicht sollte ich mich auf den Heikintori setzen, den Marktplatz, mir die Gerüchte anhören und die Penner befragen.
Als Marita sich vorbeugte, um mir die Fadenspule zu zeigen, sah ich den blauen Fleck unter ihrem Ohr, der mir neulich schon aufgefallen war. Am Rand färbte er sich schon gelblich.
Ich war gerade dabei, die Fäden zu vernähen, da polterten die Zwillinge in die Küche und machten sich über den Saft her. Erst nachdem sie die ganze Kanne geleert hatten, kamen sie zu mir.
»Maria, hast du den Kimmo verhaftet, wo du doch Polizistin bist?«, eröffnete Matti das Gespräch.
»Nein, ich nicht, das waren andere Polizisten. Außerdem bin ich gar nicht mehr bei der Polizei«, erklärte ich und schnipste den letzten Faden ab.
»Waren das böse Polizisten, so wie manchmal im Fernsehen?«
Statt den Zwillingen die Vorzüglichkeit des finnischen Rechtssystems nahe zu bringen, nickte ich nur schlapp.
»Den Ode haben auch böse Polizisten abgeholt, und Sanna hat geweint«, meinte Mikko.
Ode, Otso … Der Engel hatte von Ode gesprochen, Annamari von Otso Hakala. Von dem Mann, der Sanna verprügelt hatte und jetzt wegen Drogen im Gefängnis saß. Hörte sich ganz nach einem potenziellen Mörder an.
»Ist der Kimmo ein Mörder? Warum erzählt uns keiner was?«, wollte Mikko wissen, aber bevor ich antworten konnte, rannten die beiden schon aus der Küche, als wollten sie die Wahrheit gar nicht hören. Ich wusste, wie sehnsüchtig Marita auf den Freitag, den letzten Schultag vor den Ferien, wartete. Sie wollte die Jungen zu den Großeltern nach Inkoo schicken, bis sich die schlimmste
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