Auf die Ohren
mein nervenaufreibender Beruf, den mir die meisten von euch auch nicht unbedingt leichter gemacht haben. Dies aber nur als kleinen Denkanstoß für den zukünftigen Umgang mit meinem Nachfolger, den ich bereits jetzt zutiefst bedaure. An diese Schule würde ich nicht einmal einen verurteilten Kinderschänder strafversetzen.«
»Aber Herr Direktor!«, fährt Frau Sandmann empört dazwischen. »So etwas können Sie doch nicht sagen!«
»Und ob ich das kann!«, erwidert der Direx. » Das sind Bestien da draußen, Sandmännchen! Hinterhältige, skrupellose Ungeheuer in Kindergestalt! Diese kleinen Teufel haben mich ausgesaugt, den letzten Tropfen Lebensfreude haben sie aus mir herausgequetscht! Ich kann nicht mehr, Sandmännchen! Wieso, denken Sie, gehe ich denn jetzt schon in Rente, in der eigentlichen Blüte meines Lebens?!«
»Rente?«, wundert sich Frau Sandmann. »Haben Sie nicht gesagt, Sie seien … Wie hieß das noch mal gleich? Unfähig?«
» Arbeits unfähig!«, zischt der Direx. »Das wurde mir von offizieller Stelle bescheinigt! Aber das müssen wir ja nicht gleich jedem auf die Nase binden! Sie wissen, ich habe Feinde im Kollegium! Verdammte Weltverbesserer! Kein Wunder, dass die kleinen Bestien hier tun und lassen können, was sie wollen! Mit solchen pädagogischen Flachpfeifen ist doch kein Blumentopf zu gewinnen! Die könnten ja nicht mal einem Hund beibringen, zum Pinkeln das Bein zu heben! Diese …«
»Herr Direktor, das Mikro ist noch an«, sagt Frau Sandmann flüsternd.
»Was? Ja, natürlich ist das Mikro noch an, ich mache schließlich gerade eine Durchsage! Also, aufgepasst da draußen: Zum Ende dieses Schuljahres werde ich in den wohlverdienten Vorruhestand gehen. Ich weiß, ich weiß, nicht wenige werden diesen Schritt bedauern und einige sogar zu Recht bittere Tränen vergießen. An jene möchte ich mich nun auch wenden, mit der Bitte, bei der Auswahl des mir zustehenden Abschiedsgeschenks Sorgfalt walten zu lassen. Ich brauche keine wertvolle Uhr, keine sündhaft teure Krawattennadel oder ähnlich nutzlosen Schnickschnack, der sonst zu derartigen Anlässen verschenkt wird. Was ich hingegen dringend gebrauchen könnte, wäre eine neue Innenausstattung für meinen Mercedes, am besten in Leder, braun. Am unkompliziertesten wäre es daher für alle Beteiligten, wenn Geld gesammelt und der Gesamtbetrag möglichst diese Woche noch in mein Fach gelegt wird. Das war’s dann auch schon. Weitermachen. Danke.«
Es rumpelt und fiept wieder kurz, dann knackt es einmal und die Lautsprecher verstummen.
Ich kann mich nicht entscheiden, wem ich mich anschließen soll – Knipfer und seinem immer noch fassungslos offen stehenden Mund oder dem brüllenden Gelächter meiner Mitschüler.
Dieser verdammte, völlig durchgeknallte Mistkerl! Hätte der sich nicht schon letztes Jahr verpissen können? Dann wäre mir einiger Ärger erspart geblieben.
Knipfer versucht sich langsam wieder zu sammeln.
»Äh … ja … wo … wo waren wir?«, murmelt er vor sich hin und kratzt sich am Hinterkopf.
»Der Binomialkoeffizient, Herr Knipfer«, kommt ihm Thomas zu Hilfe.
»Ach ja, stimmt. Also, worauf ich …«
Der Gong unterbricht ihn. Yes! Somit wäre ich dem Ziel Nie-wieder-Mathe eine weitere Stunde näher gekommen! Ich stopfe wie die meisten anderen schnell mein Zeug in die Tasche.
»Moment, nicht so eilig!«, ruft Knipfer. »Es gibt noch Hausaufgaben!«
Ja, genau. Und wovon träumen Sie nachts, Herr Knipfer? Die Wahrscheinlichkeit, dass hier noch irgendjemand Hausaufgaben macht, liegt exakt bei 1:24, wobei 25 die Gesamtzahl der Kursteilnehmer darstellt und 1 für Thomas steht. Hey, ich kann ja doch Wahrscheinlichkeitsrechnung! Dass der Knipfer deswegen meine Abi-Note nachträglich nach oben korrigiert, ist allerdings äußerst unwahrscheinlich.
4.
»Feuer?«
»Auch noch? Rauchen kannst du aber alleine?«
»Das wird sich zeigen. In der ersten Pause hat’s jedenfalls noch geklappt.«
Ha, ha, sehr witzig. Als ob ich das nicht wüsste. In der ersten Pause hat er schließlich auch schon eine von mir geschnorrt. Mann, wie ich diese verdammten Schnorrer hasse. Und diesen blöden Bechthold ganz besonders. Der ist so was von dummdreist, unglaublich. Ich meine, der hat vor der Schule schon eine von mir geschnorrt, das ist jetzt bereits die Dritte heute, und so geht das fast jeden Tag. Und ich Depp gebe ihm auch noch immer welche. Warum eigentlich? Ich kenne, geschweige denn mag den Typ nicht einmal
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