Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)
empfunden hätten? Wie wäre Ihr Leben dann verlaufen? Wären Sie ein anderer Mensch als der, der Sie jetzt sind? Falls Sie zum Großteil der Menschheit gehören, der Schuldgefühle empfinden kann, dann dürfte es Ihnen schwerfallen, sich das vorzustellen. Wie mächtig Schuldgefühle sind und wie stark sie das Denken und Tun beeinflussen, ist für normal fühlende Menschen nur schwer zu begreifen. Deshalb möchte ich Sie an dieser Stelle auf eine Reise durch Ihr eigenes Gewissen mitnehmen. Ich biete Ihnen ein paar Erkenntnisse über »gut« und »böse« an. Überlegen Sie sich gut, ob Sie zugreifen möchten.
KAPITEL 7
DIE VERBOTENE FRUCHT –
ERKENNTNIS VON GUT UND BÖSE
Sag mir, würdest du töten,
um ein Leben zu retten?
Sag mir, würdest du töten,
um zu beweisen, dass du recht hast?
(Hurricane – 30 Seconds to Mars)
Denken Sie, dass Sie ein guter Mensch sind? Wahrscheinlich schon. Kein »Heiliger« vielleicht, aber ein böser Mensch sind Sie sicher auch nicht, oder?
Die meisten Menschen halten sich für gute Menschen. Sie glauben also zu wissen, was »gut« und was »böse« ist. Es scheint selbstverständlich zu sein, dass »man« das weiß. Deshalb braucht »man« sich darüber auch keine großen Gedanken zu machen. Haben Sie sich jemals selbst gefragt, woher Sie dieses Wissen nehmen?
Ich möchte Sie vorwarnen. Wenn Sie dieses Kapitel weiterlesen, werden Sie Ihr Gewissen von einer ganz neuen Seite kennenlernen. Sie werden herausfinden, warum Sie bestimmte Entscheidungen treffen. Sie werden herausfinden, warum Sie glauben beurteilen zu können, ob andere Menschen etwas »Böses« tun. Danach werden Sie nicht mehr so sicher sein, was »gut« und was »böse« ist.
Die »Erkenntnis von Gut und Böse« ist verlockend, aber auch gefährlich. Schon die Bibel berichtet, wie Adam und Eva, weil sie nach diesem Wissen trachteten, ihre Unsterblichkeit und ihr Paradies verloren. Sie konnten dem Angebot der Schlange nicht widerstehen, eine verbotene Frucht vom »Baum der Erkenntnis« zu essen. Die Schlange versprach ihnen: »Wenn ihr davon esst, so werden eure Augen aufgetan. Ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.« Zwar erlangten Adam und Eva die versprochene Erkenntnis, doch die Folgen machten sie nur unglücklich.
Nun müssen Sie sich entscheiden: Wollen Sie wirklich wissen, was Ihr Gewissen ausmacht? Wollen Sie wirklich wissen, ob Sie der gute Mensch sind, für den Sie sich halten?
Weiß Ihr Gewissen, was richtig und was falsch ist?
John: Es stehen Leben auf dem Spiel, Sherlock! Richtige Menschenleben! Nur damit ich’s weiß, berührt dich das überhaupt?
Sherlock: Würde es helfen, sie zu retten, wenn es mich berührt?
John: Nein.
Sherlock: Dann werde ich diesen Fehler auch weiterhin vermeiden.
John: Und das fällt dir leicht, ja?
Sherlock: Ja, sehr! Ist das neu für dich?
(Dialog aus der BBC-Serie »Sherlock«)
Stellen Sie sich vor, Sie stehen an einer Gleisanlage. Hinter sich sehen Sie, wie ein außer Kontrolle geratener, leerer Straßenbahnwagen sehr schnell auf Sie zukommt. In einiger Entfernung vor sich sehen Sie fünf Gleisarbeiter. Die Männer arbeiten konzentriert, sie tragen Lärmschutz-Kopfhörer und stehen auch so, dass sie die drohende Gefahr auf keinen Fall erkennen werden. Sie selbst sind zu weit von den Arbeitern entfernt, um sie rechtzeitig zu warnen. Da bemerken Sie neben sich eine Weiche, mit der Sie den Straßenbahnwagen auf ein anderes Gleis umleiten könnten. Doch dort steht ebenso weit entfernt und ebenso unfähig, die Gefahr zu erkennen, ein weiterer einzelner Gleisarbeiter.
Wenn Sie nichts tun, werden die fünf Männer sterben. Entscheiden Sie sich, die Weiche umzustellen, retten Sie die fünf Männer, doch dafür wird der eine Mann sterben, der sonst überlebt hätte.
Sie haben keine Zeit, um lange nachzudenken. Was tun Sie?
Dieses Gedankenexperiment wurde von der britischen Philosophin Philippa Foot entwickelt. Die meisten Menschen entscheiden hier, dass sie die Weiche umstellen würden. Sie sagen jedoch, dass sie sich nicht ganz wohl dabei fühlen. Schließlich stirbt deshalb der eine Mann, der sonst nicht gestorben wäre. Andererseits würden sie sich noch schuldiger fühlen, wenn sie die fünf Männer nicht retten würden. Diese Entscheidung treffen normale Menschen also nicht hauptsächlich, weil es das Vernünftigste ist, sondern sie entscheiden nach ihrem Gefühl.
Das Gefühl sagt: In dieser Situation wirst du mehr Schuldgefühle haben,
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