Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)
sonst wie aufreizend hergemacht – hält sich ungefähr die Waage mit den Angehörigen männlichen Geschlechts in entsprechender Ausstattung: Baggy-Hosen, Goldkettchen, Sonnenbräune und einige Stunden Fitnessstudio. Der größte Teil davon mit Migrationshintergrund.
Das ist, was ich etwa in den ersten fünf Minuten in diesem Laden erfahre. Bin direkt oben auf die Empore gegangen – wegen der Übersicht – und beobachte nun Menschen bei ihrem Paarungstanz. Die Bewegungen kann ich nicht nachvollziehen, weiß nicht, wie man auf die Idee kommt, sich so zu bewegen. Ich denke, alle Menschen hier können »loslassen« und sich einfach treiben lassen. Ich kann das nicht, ich kann nichts »loslassen«, weil ich nichts festhalte.
Nach der Übersicht beginne ich mich zu langweilen. Es ist zu laut, um sich wirklich zu unterhalten. Selbst wenn es leise wäre, sind die meisten hier vermutlich nicht an Diskussionen auf hohem Niveau interessiert. Nach sieben Minuten frage ich mich, warum ich acht Euro Eintritt gezahlt habe, nur um jetzt herumzustehen und mich zu fragen, was ich hier soll.
Ich habe meinen Freunden – wie immer an solchen Abenden – zugesagt, ich würde mindestens eine halbe Stunde bleiben. An der Empore lehnend, die Menschen beim Paarungstanzen beobachtend, irgendeiner furchtbar verhunzten Version von »We Will Rock You« lauschend, beginne ich zu rechnen. Sieben Minuten hier, dreißig Minuten zugesagt, bedeutete noch dreiundzwanzig Minuten. Dreiundzwanzig mal sechzig: eintausenddreihundertachtzig Sekunden noch in diesem Laden.
Ich beginne zu zählen. Beobachte dabei weiter Menschen und versuche mich daran, die Körpersprache der Tanzenden zu interpretieren. Abneigung, Zuneigung, eine eventuelle Bereitschaft, den Tanz in die Horizontale zu verlagern. Zudem versuche ich zu erkennen, ob es Paare auf der Tanzfläche gibt. Im Hintergrund laufen die Zahlen langsam hoch in Richtung eintausenddreihundertachtzig. Meine Freunde haben sich längst in die Menge der Tanzenden gemischt, aus ihren Gesichtern und der Körperhaltung schließe ich, dass sie Spaß haben.
Meine Überlegung nun ist relativ einfach: Ich bin komplett von meinem Kopf beherrscht. Wenn es mir gelingt, den Alkoholkonsum hochzuschrauben und meinen Kopf herunterzufahren, sollte ich in der Lage sein, genau wie jeder andere auch, den Paarungstanz aufzuführen und einfach dazuzugehören. Ich hatte diesen Gedankengang schon vorher, daher hatte ich auch schon einiges getrunken. So entschließe ich mich also, noch etwas mehr zu trinken, und begebe mich zur Theke.
Meine Entscheidung fällt auf Wodka pur, schließlich trinke ich ja nicht zum Spaß, sondern um endlich den gewünschten Effekt zu erzielen. Danach begebe ich mich auf die Tanzfläche. Ich finde dabei erstaunlich, wie selbstverständlich es für alle Menschen ist, die Signale zu verstehen, die sie aussenden. Wenn ich herausfinden will, wie andere Personen sich gerade fühlen, dann muss ich auf die Körpersprache achten, am besten dazu noch genau auf die Mimik und auf das, was sie sagen. In Diskotheken, wo die Sprache entfällt, werden solche Interpretationen schwer.
Entgegen meiner Hoffnung, durch Alkoholkonsum normaler zu werden, ist der einzige erzielte Effekt, dass ich geistig deutlich langsamer und unkoordinierter werde. Dadurch wird meine Interpretation langsamer und deutlich ungenauer. Etwa drei Minuten lang bin ich auf der Tanzfläche. Ich versuche, die Bewegungen der Menschen um mich herum zu kopieren und dabei möglichst »Spaß« zu empfinden oder diesen möglichst gut zu simulieren. Da spüre ich eine Hand auf meiner Schulter, die mich von der Tanzfläche zieht.
Mir gegenüber steht ein Mitbürger mit Migrationshintergrund, in Baggy-Hose, drei Goldketten um den Hals, kurz geschorene Haare und von der Statur eines klassischen Pumpers. Auch mit meiner verlangsamten Wahrnehmung wird mir klar, dass irgendetwas sein Missfallen erregt hat. »Altah was starrste meine Biatch so an, willste Stress?!« Ich übersetze sein Deutsch auf ungefähr diesen Satz und wiege kurz Pro und Contra einer Konfrontation ab:
Pro:
1. Ich wäre aus der Disco raus.
2. Ich hätte möglicherweise Hausverbot, was dazu führen würde, dass ich IMMER eine passende Ausrede hätte, nicht mehr hierherzukommen.
Contra:
1. Schmerzen.
2. Sehr viel Aufmerksamkeit.
3. Etwaige mit den Schmerzen verbundene Folgen wie Brüche oder dergleichen.
Schnell entschließe ich mich, soweit mir möglich, der Konfrontation aus dem
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