Auf Dunklen Schwingen Drachen1
schuldlos sind. Wir haben nichts Falsches getan, heho! Wir haben uns nichts zuschulden kommen lassen.«
»Sei nicht naiv! Sieh dir deine Augen an, Zar-shi. Es gibt keine einzige Onai hier, deren Augen nicht verraten, wie viel Gift wir geschluckt haben.«
»Deshalb hätten wir die Haut nicht sofort wegschicken sollen. Wir hätten uns alle von dem Zeug entwöhnen können …«
»Während die Haut vergammelt. Dann wären wir in derselben Lage gewesen wie jetzt. Bullenhäute sind sehr selten, Kind. Krieg das in deinen Schädel. Wir wären trotzdem für den Verfall dieser kostbaren Haut zur Verantwortung gezogen und entsprechend bestraft worden.«
»Aber nicht alle von uns!«
Sie betrachtete mich mit ihren eingefallenen, unheimlich starr blickenden Augen. »Wenn ich könnte, würde ich mein Leben geben, um eure zu retten. Dieses Opfer würde ich bringen.«
»Das habe ich nicht gemeint.«
Sie legte mir ihre knochige Hand aufs Knie, ohne zu antworten. Durch meine Tunika fühlte ich ihre Kälte, als wäre sie der leibgewordene Nebel.
Ich konnte mein Zittern nicht unterbinden. »Wir könnten weglaufen, wir alle.«
»Und wohin?«, fragte sie müde. »Wir sind alte Weiber.«
»Nicht alle!«, schrie ich und schämte mich sofort für meine Bereitschaft, meine Genossinnen im Stich zu lassen. Mir verschwamm alles vor den Augen.
»Lass deinen Tränen freien Lauf, Kind. Du brauchst dein Verlangen nach Leben nicht zu verbergen.«
»Wenn die Djimbi im Dschungel überleben können, könnten wir das auch«, sagte ich, während mir die Tränen über die Wangen liefen.
»Unsinn!«
»Wir könnten es wenigstens versuchen …«
»Hör mir zu, hör mir genau zu. Ich möchte, dass du gehst. Schaff Kiz-dan und ihr Baby hier weg. Ihr könnt euch als Familie ausgeben, du als Erster Sohn. Wir geben dir die passenden Kleider. Diese Täuschung wird funktionieren, solange ihr reist, wenn du vorsichtig bist. Kehre zu deiner Brutstätte zurück und tritt in die Chanoom-Sekte ein. Ihr seid beide beschnitten, sie werden euch gern aufnehmen.«
Ihre Worte klangen so entsetzlich bekannt, überwältigten mich beinahe wegen der Freiheit, die sie versprachen. Und flößten mir Furcht ein wegen dessen, was sie verlangten.
»Ich kann nicht einfach …«
»Ich bitte dich nicht darum, ich befehle es dir.« Sie schüttelte mein Knie. Ihr Griff schmerzte. »Glaubst du etwa, ich hätte das nicht schon vor Jahren getan, wenn ich nur den Mut hätte aufbringen können? Ich bin nur ein Feigling. Du willst nicht so sein wie ich. Ich habe eine Münzkette versteckt. Die nimmst du mit.«
»Oh nein, nein!«
»Nicht morgen, aber übermorgen. Der Ranreeb kann jederzeit eintreffen …«
»Nein!«
»Aber erst muss ich dich um einen Gefallen bitten, einen großen Gefallen. Es wird dir nicht passen, aber ich bitte dich trotzdem darum.« Sie legte ihre Hände auf meine Wangen und drückte ihre Stirn gegen meine. Unser Atem vermischte sich. Sie roch nach moderndem Laub und Schlamm.
»Bevor du antwortest«, flüsterte sie, »möchte ich, dass du alle Vorurteile und diese verzerrte traditionelle Moral vergisst. Ich möchte, dass du daran denkst, was du empfindest, wenn du Gift trinkst. Und ich will, dass du eine Erfahrung machst, die hundertmal fruchtbarer ist als das.«
Ich wusste, worum sie mich bitten würde. Ich wusste es, fürchtete es, war wie elektrisiert davon, wollte davor fliehen.
»Erlaube uns, uns noch einmal vor die Bullen zu legen«, flüsterte sie. »Wir brauchen dich dafür, jetzt, wo Boj-est und Ras-aun tot sind. Ich weiß, dass Kiz-dan es nicht tun wird, da sie ein Kind hat. Also brauchen wir dich. Du musst den Drachen zurückhalten, ihn anschließend wieder zurückziehen.«
Ich schüttelte den Kopf.
Sie packte mein Knie fester. »Bitte.«
»Du verstehst nicht …«
»Du verabscheust mich«, sagte sie brüsk.
»Nein.«
»Dann tu es.«
»Nein …«
»Du hast täglich mit den Bullen zu tun gehabt, Zar-shi. Du kommst gut mit Ka zurecht, wenn er sich schlecht benimmt.«
»Das kann ich nicht …«
»Ich bitte dich doch nur, den Kuneus zu halten, nicht mehr!«
»Ich kann das nicht!«, schrie ich. »Ich habe Angst vor meinem eigenen Verlangen danach!«
Sie sah mich an, richtete sich leicht auf. Jetzt sah sie mich als das, was ich war, nicht nur als Werkzeug, mit dem sie ihr Verlangen befriedigen konnte. Ich brannte vor Scham.
»Du musst dich nicht für dein Verlangen schämen«, erwiderte sie langsam, behutsam. »Nicht unter uns.«
»Es
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