Auf Dunklen Schwingen Drachen1
zu erfahren, lebe ich, seit ich diesen geheimen Ritus entdeckt habe.«
»Entdeckt?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich wurde eingeweiht. Von Boj-est. Und sie von einer anderen Onai, und so geht es seit aller Ewigkeit.«
»Es ist nur … Sex. Perverser Sex.«
Sie schnaubte und sah mich verächtlich und mitleidig an.
»Vergleiche das, was wir tun, nicht mit dem Verhalten gemeiner menschlicher Flittchen. Nicht, solange du es selbst noch nicht erlebt hast. Wage es nicht!«
»Also hast du etwas, wofür es sich zu leben lohnt, ja?« Ich hatte sie nicht nur zu diesem Streit provoziert, um meine eigene morbide Neugier bezüglich der Gründe zu befriedigen, warum sie an diesen »geheimen Riten« teilnahm, sondern auch, um ihren Kampfgeist zu wecken.
»Du willst eines Tages wieder vor einem mächtigen Drachen liegen, sei es ein Bulle oder eine Kuh, deren Giftsäcke noch intakt sind«, fuhr ich fort. Ich ging auf sie zu, überwand die Distanz zwischen uns. »Also hör auf zu reden, als wären wir schon besiegt, als könnten wir nichts mehr tun. Bereite alle auf die Ankunft des Tempels vor, sorge dafür, dass unsere Bücher stimmen, dass jede Onai sich bereit erklärt, nicht zu verraten, was wir während der Zeit der Nässe gegessen haben. Und jene, die nicht zustimmen, die glauben, sie müssten unsere Sünden dem Tempel beichten …« Meine Stimme verklang.
Schweigen. Gelbgesichts Miene verhärtete sich.
»Sag es!«, forderte sie mich auf.
»Wir bringen sie um«, flüsterte ich, obwohl es wie ein Brüllen klang, ein Schrei, das Sirren von Tausenden Schmetterlingsflügeln.
»Und wie?«
»Das weiß ich nicht. Aber es gibt genügend Möglichkeiten.«
»Ein Messer, hm? Zwischen die Rippen? Oder vielleicht durch die Gurgel? Und wann, hm, wann sollten wir es tun? Mitten in der Nacht oder am Tag, im Dschungel? Wer soll das tun, und wer soll eingeweiht werden? Wohin mit den Leichen?«
»Wir wissen nicht, ob wir es überhaupt … tun müssen. Ich sage nur, dass wir uns darauf vorbereiten sollten. Pläne schmieden. Und … und … ich rechne nicht mit dem Schlimmsten.«
Gelbgesicht drehte sich wieder weg und starrte die Wand an.
»Dann kannst du dich wieder vor Lutche legen«, fuhr ich verzweifelt fort. »Oder vor Ka. Vor beide, in einer Nacht, wenn du willst. Du kannst nicht aufgeben. Kämpfe um unser Leben, Yin-gik.«
»Nicht das«, murmelte sie so leise, dass ich mich anstrengen musste, sie zu verstehen. Ich hörte das Kratzen der Hacken auf dem Stein, das schleifende Geräusch, mit dem die schweren Garben Koorfwosi Rim Maht über den Boden gezerrt wurden. Aber ihre Worte konnte ich kaum hören. »Ich bin nicht Yin-gik. Das war ich nie. Der Name Gelbgesicht passt besser. Wenigstens hat er eine Bedeutung.«
Ich stand verdattert schweigend da und fragte mich zum ersten Mal, wo sie gewesen war, bevor sie nach Tieron kam.
»Geh und such Ohd-sli«, befahl sie schließlich, ohne den Blick von der Wand zu lösen. Ihre Stimme jedoch klang anders. Hatte wieder diesen tyrannischen Unterton. »Schaff sie her. Es wird Zeit, dass wir uns ihrer vornehmen Beziehungen bedienen.«
An Bayen Dinwat vom Haus Ginkison, Iri Timadu Bayen Sor, in der Zone der Höchst Vornehmen Aristokraten, Brutstätte Xxamer Zu
Höchst Ehrenwerter Gebieter, seid gegrüßt.
Ich schreibe Euch in einem Zustand der Zerknirschung und Verzweiflung.
Ich habe Euch dieses halbe Jahr sehr vermisst. Damit Ihr meine Worte nicht für unaufrichtig haltet, möchte ich Euch versichern, dass dieses mühsame Leben und der sehr intime körperliche Verlust, den ich erlitten habe, mir erlaubte, meine Zeit in Eurem Haushalt mit schmerzlicher Klarheit zu sehen. Mir ist jetzt bewusst, wie leichtfertig mein Verhalten gewesen ist, wie nichtswürdig ich Euren Namen behandelt habe. Warum blicken wir immer auf das herab, wovon wir am stärksten abhängen?
Ich kann nicht um Eure Vergebung bitten, denn ich verdiene sie nicht. Ebenso wenig bitte ich Euch, mich wieder aufzunehmen, denn in meinem derzeitigen Zustand bin ich – durch das heilige Messer – höchst unattraktiv. Aber ich will Euch dennoch die verzweifelte Notlage nicht verhehlen, in welcher meine Gefährtinnen und ich uns befinden.
Die letzte Saison war außerordentlich hart. Acht von uns Onai starben an der Schwindsucht, darunter eine meiner bedauernswerten Cousinen. Eine Flut aus einem Wasserfall hat unsere Lebensmittelvorräte vernichtet, unseren Garten, die Felder, Werkzeuge und Brennmaterial weggespült. Trotz
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