Auf Dunklen Schwingen Drachen1
kaum noch beherrschen konnten.
Der junge Mann war etwa in Waisis Alter und hatte eine merkwürdige Gestalt, breite Schulten, einen tonnenförmigen Oberkörper und haarige Arme, die bis zu seinen O-Beinen hinabreichten. Er war korpulent und blass, und mit seinem schlaffen Kiefer hätte er Fliegen fangen können.
»Drachenfutter!«, hauchte Waisi neben mir, und ich sah aus den Augenwinkeln, wie sie ihre Lippen verächtlich verzog. Ich wusste, was sie meinte. Dieser Junge war nur als Spielzeug für Re gekürt worden, unseren Drachenbullen. Ich versuchte, nicht an den siebenjährigen Jungen beim Mombe Taro zu denken. Ich weigerte mich, es zu tun.
Der ungeschlachte Körper des Glasspinner-Jungen stand in krassem Gegensatz zu der leichten, athletischen Gestalt, die man brauchte, um im Kampf gegen einen Drachenbullen überleben zu können, und er schien nicht einmal genug Verstand zu besitzen, das zu begreifen. Seine Lehrzeit würde kurz sein, sein Tod unausweichlich und spektakulär, vor den Augen von zweihunderttausend Malacariten, die ihn von den Rängen der Arena verhöhnen würden.
Falls der Drachenmeister ihn kürte.
»Du.« Er kürte ihn.
Einfach so erkor er einen hirnlosen Glasspinner als Schüler. Jetzt würde dessen Handwerkerclan wohlhabend sein. Ungläubiges Staunen lief durch die Menschen im Tempel. Würde er noch jemanden aus unserer Zone auswählen? Hatte noch ein Clan so viel Glück?
Nein.
Der Drachenmeister stieg die Etagen hinauf, um den Tempel zu verlassen und seine Suche nach Schülern in einer anderen Zone unserer riesigen Brutstätte fortzusetzen. Er krümmte den Finger und bedeutete dem hirnlosen Jungen, ihm zu folgen. Ein Kamerad des benommenen Glasspinners musste ihn anstoßen, damit er reagierte.
Jemand hustete. Laut. Absichtlich. Deutlich. Der Drachenmeister erstarrte. Ich erstarrte.
Erneut hustete jemand, ein Räuspern, ein Ruf, irgendwo aus der untersten Etage des Männertrakts.
Langsam drehte sich der Drachenmeister um.
Sein Blick zuckte hin und her, seine Nasenflügel bebten, er schmeckte die Luft mit der Zungenspitze. Also gut. Vielleicht stand er zu weit von mir weg, als dass ich all das hätte sehen können, aber ich stellte mir vor, dass er genau das tat, als er wie angewurzelt dastand. Der Junge der Glasspinner erstarrte ebenfalls, kaum zwei Schritte von der Stelle entfernt, an der er gesessen hatte. Er wirkte so verblüfft, dass ich mich fragte, ob er vielleicht wirklich einfältig war.
Wieder war da das Husten.
Mein Blick zuckte zu der Stelle, wo das dritte Mal das Husten erklungen war, und der des Drachenmeisters glitt genauso schnell dorthin. Er wirkte so biegsam wie der Schneidedraht eines Töpfers, so flüssig wie Wasser, als er rasch die Etagen hinabstieg und sich vor denjenigen stellte … vor wen? Welcher Junge hatte es gewagt, die Stille im Tempel zu brechen, hatte absichtlich den Zorn des Cinai Komikon auf sich gezogen? Ich hegte keine Zweifel daran, dass der Jugendliche, vor dem sich der Drachenmeister aufgebaut hatte, tatsächlich derjenige war, der gehustet hatte. Und ich glaube auch nicht, dass jemand anders Zweifel hatte.
Neben mir setzte sich Waisi urplötzlich kerzengerade hin.
Ich glaube, sie war die Erste von allen Töpfern, die erkannte, wer der Junge war. Was mich, wenn ich zurückblicke, nicht überrascht.
Mein Name, Zarq, ist nicht normal für ein Mädchen.
Um zu begreifen, wie ungeheuer merkwürdig dieser Name für eine weibliche Person ist, muss man wissen, wie man die Babys in Malacar benennt, in Malacar und jeder anderen Nation, die unter dem Zepter des Imperators steht.
Alle Söhne werden nach ihrer Geburt Erstgeborene, Zweitgeborene, Drittgeborene genannt, und so weiter, in der Sprache des Imperators: Wai Kar, Kazon Kar und so fort. Natürlich nimmt der Junge auch den Namen seines Vaters an. Er behält seinen Geburtsnamen, bis er alle Milchzähne verloren hat, woraufhin er das Frauenhaus verlässt und sich dem Tazik Masimutian unterzieht, der Namenausrufungs-Zeremonie. Dabei wählen alle Männer seines Clans einen Namen für ihn aus, der eine Eigenschaft im Wesen des Jungen reflektiert, eine erhoffte oder eine existierende.
Bei weiblichen Babys ist es ganz ähnlich.
Nur wird ein Mädchen nicht Tochter eines Vaters genannt. Ein solches Wort existiert in der Sprache des Imperators nicht. Sie wird stattdessen »So-und-so«-Mädchen genannt, oder eben So-und-so-via. Diesen Namen behält sie, bis sie von einem Mann erwählt wird, dann wird
Weitere Kostenlose Bücher