Auf Dunklen Schwingen Drachen1
einmal gehört hatte.
Ich sah zu Dono zurück, aber er hatte die Stufen bereits erklommen und verschwand in der Menge vor dem Tempel. Der zahnlose neunjährige Mann, mein Milchbruder, verschwand aus meiner Kindheit.
5
W as sich danach ereignete, ist schwer wiederzugeben.
Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Mit unserem triumphalen Rückzug vom Tempel? Mit dem Drängen der Menge und den Wehklagen der Frauen, die uns den ganzen Weg begleiteten? Oder mit den Männern des Töpferclans, die sich auf die Schultern schlugen wie Akrobaten nach einem Kunststück und ihr Lob auf unseren prachtvollen Drachenbullen hinausbrüllten?
Ich erinnere mich an diesen Nachmittag und Abend wie an Bilder, die an einer Wand hingen, wie an Mutters berühmte vierfliesige Paneele. Statische Bilder, in Lehm gebrannt. Es ist das Sicherste, sich auf diese Weise an die Ereignisse zu erinnern.
Man muss eines bedenken: Die Tempelgesetze schreiben vor, dass der Clan eines Jungen, den der Drachenmeister zum Schüler erwählt hat, bei Sonnenuntergang von Sa Gikiro all seinen Besitz weggeben muss, in Anerkennung dessen, was der Junge verloren hat, und in Vorbereitung für den Reichtum, mit dem der Tempel acht Tage später den Clan überhäufen wird, als Entschädigung für das Leben, das der Drachenmeister ihm nahm.
Seit mehr als zwei Generationen war das keinem Clan unserer Zone widerfahren. Wir wussten, was wir laut den Tempelstatuten zu tun hatten. Wir mussten unseren gesamten Besitz weggeben. Aber wir wussten nicht, wie dieses Weggeben aussehen würde. Was vielleicht ein Segen war.
Also beschreibe ich jetzt das erste dieser Tonpaneele, an das ich mich erinnere.
Kobos Zwillinge, Rutvia und Makvia, die auf dem Boden knieten, die Tikken-Knospen und ihre Mombe-Taro-Bänder in ihre Schlafmatten rollten. Damit wollten sie die Satinbänder glatt pressen und sie gleichzeitig mit dem Duft der pfeffrigen Blüten durchtränken. Die beiden Mädchen fragten sich keinen Moment, warum jemand ihre fleckigen, abgenutzten Schlafmatten und ihre Tuchfetzen haben wollte, sondern befolgten das Tempelstatut und gaben, was sie für einen Schatz hielten. Ihr unschuldiger Stolz war bitter und süß.
Das zweite Paneel zeigt ein zerrissenes, etwas fettiges grünliches Stoffetwas, aus dem aus einem Riss Featon-Spreu quillt. Dieses Bündel ist mein Fu-lili, mein Weicher Tröster, ein schwer zu beschreibendes, ausgestopftes Spielzeug, das meiner Schwester gehörte, als sie klein war, und das ich voller Stolz seit meinem zweiten Lebensjahr besaß. Ich war fest entschlossen, diesen besonderen Schatz nicht wegzugeben, und stopfte ihn heimlich hinter einen Dosenstapel mit Pigmenten im Töpferschuppen der Frauen, als Mutter mich überraschte. Wir sahen uns an; ich schob trotzig die Lippe vor.
»Ich brauche mein Fu-lili«, sagte ich störrisch, obwohl ich seit Jahren weder mit dem stinkenden Ding geschlafen noch damit gespielt hatte. »Manche Sachen darf man nicht weggeben, Mama!«
Sie nickte kurz, ging hinaus und ließ mich mit meinem Vergehen allein.
Auf dem dritten Paneel steht eine Gruppe grinsender Männer zusammen, ihre weltlichen Habseligkeiten auf Matten vor den Türen ihrer Hütten ausgelegt, ererbte Pfeifen, polierte Macheten, neue Sandalen, deren Leder noch steif war, und Schicksalsräder, geschnitzt aus Gharial-Knochen. Die großen Würfel dazu waren in Lederbeuteln verpackt. Die Männer waren aufgeblasen vor Großzügigkeit, beflissen, das Tempelstatut zu respektieren.
Auf dem vierten Paneel ist nur ein Bild zu sehen. Eine Statuette aus Keramik, gedrungen und korpulent und verblüffend für eine Neunjährige. Die Zwillinge und ich sahen sie auf Groß Grum Grums Matte, zwischen einem Haufen von Trinkhalmen, einer Urne mit Maska und einer Dose aus Zedernholz, die mit Tabak gefüllt war. Wir starrten sie an, da uns die Männer den Rücken gekehrt hatten und über ihre Witze lachten. Fasziniert von dem Mysterium des Objekts, hob ich die Statuette kühn auf.
Sie war schwer wie eine Terimelone, aber mit einer Aushöhlung in der Mitte. Ich drehte die Figur in alle Richtungen. Ein Brutdrache, das war es, aber es war die merkwürdigste Darstellung eines Brutdrachen, die ich je gesehen hatte. Denn statt in dem gepunkteten Grün und Rot eines echten Brutdrachen glänzte sie in einem weichen Beige, wie die Haut innen auf meinem Oberschenkel, wo nie Sonne hinkam. Merkwürdiger noch war, dass ihr dünner Schweif angehoben war und einen Rumpf enblößte, der meinem
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