Auf ein prima Klimakterium
Tässchen serviert und konsumiert, und bald sinkt man in die aufgewühlten Kissen zurück.
Kaum hat die Turmuhr ihre zwölf Schläge termingerecht abgeliefert, wagt sich die kleine silberne Glöckchen-Schwester, mit wuseligem Coiffeur im Schlepptau, zum zweiten Rapport an das zerwühlte Lager von Madame, um nun die kleine Morgentoilette zu zelebrieren. Schwerblütige Moschus- und Patschulidüfte hängen an der Decke, das kristalline Tischchen des Boudoirs biegt sich unter einer Fülle von Cremepöttchen, Schminkdosen, Parfümflacons, Brauenstiften, Wimpernpinseln, Nagellacken, Puderquasten, während die Haare der Hausdame, mit verschämten ersten Grautönen durchzogen, gebürstet und hochgesteckt werden. Wimpern klimpern tuschig, Fußnägel zieren sich frisch gelackt, während ein zartes Rebhuhnkeulchen in Mandelummantelung, von perlendem Champagner umworben, in ein kleines blutrot geschminktes Göschchen hinabtaucht. Auf einem silbernen Tablett offeriert ein gut geölter Lakai mit befreitem Oberkörper das Neueste der Journaille mit den gepfefferten Klatschspalten. Madame langweilt sich im Blätterwald, ihr ganzes Interesse dient dazu, Huldigungen an die eigene Persona entgegenzunehmen. Die tägliche Post strotzt vor glühenden Liebesbriefen, die auf Wunsch der Hausherrin von Kammerzofe Juliette vorgelesen werden. Süffisant von Satz zu Satz entblättert, ziehen sich die Depeschen, nach gehöriger Abfuhr durch die Angebetete, gekränkt zurück.
Nach einem Mittagsschläfchen von Madame auf der eleganten Chaiselongue des Salons, steht nun ›Grande toilette‹ auf dem Tagesplan. Eine bemühte Assistentin zaubert mit Gaze, Seide, Samt und Juwelen eine Göttin hervor.
Gegen achtzehn Uhr fährt eine vierspännige Equipage vor, um Madame, mit einem Schatten spendenden Florentinerhut ausgestattet, in das angesagte Pariser Feinschmeckerlokal Maison d’Or zu kutschieren. In einem sichtgeschützten, schummrigen Separee des Restaurants wartet ein hochgeehrter, fürstlicher Ehemann auf eine seiner Geliebten. Hurtig begibt sich die heutige Auserkorene in das Separee und ihre atemberaubende Schönheit hinterlässt bei den anwesenden Gästen Staunen und Entzücken. Erlesener Wein und frische Austern eröffnen im Separee einen sinnlichen Reigen, der von raffinierten Liebesdiensten einer Erfahrenen noch gekrönt wird. Ein paar Stunden später wird im Hotel des ägyptischen Fürsten Kara Mustapha ein rauschender Empfang ausgerichtet, dessen intimes Mitternachts-Souper mit Hummersuppe ›Bisque de Homard‹, geschmortem Rebhuhn ›Perdix Braisee‹, Weinbergschnecken auf Burgunder Art ›Escargots Bourguignonnes‹, und Aprikosentörtchen ›Tarte aux Abricots‹, um nur einige der delikaten Schlemmereien zu nennen, auftrumpft. Die dargereichten Speisen lassen den exzellenten Geschmack des Gastgebers, Fürst Galitzin erahnen, der zu später Stunde ebenfalls mit den Liebesdiensten der berühmten Kurtisane Lorette Cora Pearl, unserer Madame Cora, rechnet. Der Sinn steht ihr heute nicht mehr nach sexuellen Verlustierungen, erotische Konversation der anzüglichen Art wird von Meisterin Madame Cora, zur pervertierten Sinnesanregung der versammelten Herrenriege, partout nicht ausgeschlossen. Diese exzentrische Dame flaniert, amüsiert, intrigiert, lebt und verlustiert sich als eine der begehrtesten Kurtisanen, im Zeitenfenster des Jahres 1911, im lasterhaften Bauch des sündigen Paris. Madame Cora wird hofiert, begehrt und feinstens honoriert, und das noch weit, weit nach ihrem fünfzigsten Geburtstag. Ab diesem Tag hatte Madame ihre personifizierte Zeitenwende angesagt und hinfort ihre Geburtstage verjüngend zurückgespult.
Der heutige Liebesdienst, als Luxus-Beilage zum Nachtisch des ersten Soupers addiert, wurde diskret mit zehntausend Goldfrancs honoriert, war auf eine halbe Stunde begrenzt, dramaturgisch durch Raffinesse und Erfahrung einer großen Wissenden gelenkt. Hitzewallungen, von den Zonen eines feurigen Klimakteriums gespeist, steuerten bereitwillig ihre Dienste bei und erwiesen sich als Madames hitzige Kumpane. In den Stunden des Müßiggangs, die in den angesagten Salons der Stadt verloren werden, ergießen sich Madames klimakterische Stimmungsschwankungen in kapriziösen, streitlustigen Diskussionen von intelligenter Schärfe. Madame Cora lebt mit Schoßhündchen Caprice alleine in feudalstem Apartment im zweiten Arrondissement, alle Verwandten, die sie als junges Geschöpf in ihrer englischen Heimat zurücklassen
Weitere Kostenlose Bücher