Auf ein prima Klimakterium
etwas herunter. Meinem Beschluss, dem summenden Fischsud bei seiner hingebungsvollen Einköchelung nicht länger voyeuristisch im Wege zu stehen und eine kleine wohlverdiente Fernsehpause einzulegen, ist so gar nichts entgegenzusetzen.
Aus meiner Melonen-Ingwer-Bowle, mit Honigmelonen-Fruchtfleisch, Ingwerstückchen und -pulver, Zimt, Kardamom und winterlicher Zitronenminze, aus dem Blumentopf, angesetzt und mit feinstem trockenen Weißwein aufgefüllt – der Sekt darf sich morgen darüber stürzen – schöpfe ich mir ein Gläschen ab und mache es mir gemütlich.
Den Bedienungsgriff meines TV-Guckkastens im Anschlag, an einem Freitagabend, Zwanziguhrvierzig, auf der Suche durch die Kanalregionen der Sendeanstalten, um ein Quäntchen Unterhaltung zu erhaschen.
Ich zappe:
»Ich bringe Männer, die bereit sind, Grausames zu tun, was andere nicht können«, verspricht eine Ermittlerin aus Miami,
ich zappe:
»Hinter dieser Tür wartet das Grauen, ein Auftragskiller, sehe ich das richtig«, sonort ein amerikanischer Lawyer mit grauen Schläfen,
ich zappe:
»Legenden werden mit Blut geschrieben«, trieft sich eine rote Blutspur quer über den Fernsehschirm,
»Das will ich nicht«, höre ich mich erbost kommentieren,
ich zappe:
»Killing is fun – mehr geht nicht, Liebling«, schnoddert eine amerikanische CIA-Ermittlerin in Uniform ihrem nackten Lover in seine phallische Zone,
»No way, that’s ridiculous«, schnaube ich verzweifelt
und zappe:
»Erotik zum Spartarif, keine Wartezeit, Frauen ab fünfzig, extrem vulgär, machen alles, was du willst«, gurrt eine weibliche Stimme, während sich eine vollbrüstige, nackte Oldie-Mieze am vermeintlich heißen Höschen zu schaffen macht,
»Das fehlt mir ja gerade noch«, höre ich mich jammern,
ich zappe:
Talkshow! »Ich sitze hier, um die Krankenkassen zu forcieren, betroffenen ADS-Kindern (kurz für Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom) ausreichende Dosen eines Spezialmedikaments zu genehmigen, denn sie haben ein Recht auf höhere Schulen und Weiterbildung, dafür werde ich jetzt kämpfen«, predigt die kalte Stimme einer Politikerin, von zwei Jungmännern bekränzt, die sich einstimmig zu ihrem ADS-Syndrom bekennen. »Ich bin ein ADS’ler und das ist gut so«, erklären beide einstimmig.
Ich bin wie festgenagelt, da hat sich’s ausgezappt. Das angesprochene ›Medikament‹ ist ein Amphetamin, das die Körpersysteme pusht, das sich Jugendliche als preisgünstigen Kokain-Ersatz zu beschaffen wissen. Das ist kein Beruhigungsmittel. Ihr gebt es den Kindern schon ab dem dritten Lebensjahr, um die Symptome von ADS stillzulegen. Dieses Medikament, über Jahre eingenommen, lässt die körpereigenen Drüsen zu permanenter Hochform und Sekret-Ausschüttung auflaufen und verhindert vor allem eine Rückbildung der Thymusdrüse, die mit fünfzehn Jahren abgeschlossen sein sollte. Eine Entartung der Drüse mit Krebsbefall und Streuzonen in den ganzen Körper, Jahre später und gerade in den Zeiten des zweiten hormonellen Umbruchs, kann eine tragische Folge davon sein. Die Ärzte in den Universitätskliniken sind gerade dabei, dieses neue Phänomen zu erkunden und statistisch auszuwerten, das vor allem bei 16-jährigen Jungen nach rapider Absetzung des Medikaments, meistens nach Schulabgang kurz vor der Lehre, auftritt.
In unserem Bekanntenkreis zittern wir seit drei Jahren um das Leben eines jungen Menschen, bei dem sich nach jahrelanger Medikamenteneinnahme plötzlich eine karzinomatöse Entartung seiner Thymusdrüse einstellte, die unter dem kräftigen Brustbein nicht zu orten war und erst in einer Universitätsklinik diagnostisiert werden konnte. »Liebe Ärzte, Eltern und Lehrer, informiert euch über den neuesten medizinischen Stand und setzt dieses Medikament, das 1939 in Baltimore an dunkelhäutigen Kindern ausprobiert und den schwer traumatisierten Kindern des letzten Weltkriegs zugedacht war, niemals kurzfristig ab, sondern lasst es langsam aus dem Körper ausschleichen. Ein rapider Abbruch, z. B. kurz vor der anzutretenden Lehre, wie gehandhabt, ist gefährlich. Informieren Sie sich doch!«, rufe ich dem Talkmaster, der Politikerin und den beiden Betroffenen weinend in den Plastik-Urgrund meines Fernsehers zu, als urplötzlich schwarze, stinkende Rauchschwaden, bereit für einen Spezialeinsatz, ihr Camp verlassen, das sie wohl unter meiner Küchentüre aufgeschlagen hatten, um Sekunden später das Wohnzimmer mit unsäglichem verbranntem Fischgeruch anzugreifen.
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