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Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt

Titel: Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni di Lorenzo Helmut Schmidt
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Erbe. Ein Erbe auch aus der Erfahrung des deutschen Völkermords an den europäischen Juden.
    Ist nicht die Agenda 2010 der viel wichtigere Grund?
    Nein. Es hat auch vorher vielerlei Ängste unter den Deutschen gegeben.
    Aber keine so starke Linkspartei.
    Die Linkspartei verdankt ihre Popularität auch ihren populistisch auftretenden Führungspersonen. Sie wollen ihren Wählern gefällig sein und dafür mehr Geld ausgeben. Dafür sollen andere mehr zahlen oder sogar enteignet werden. Weil die Rechnung nicht aufgeht, ist eine höhere Staatsverschuldung eines der Ergebnisse.
    Sie sind der Frage ausgewichen, ob die Agenda 2010 den Linksruck in Deutschland ausgelöst hat.
    Ich will dem nicht ausweichen. Ich glaube, dass die Agenda 2010 deshalb eine große Chance für linke Wortführer geboten hat, weil sie publizistisch und politisch nicht ausführlich erklärt und begründet worden ist. Weil sie wie ein Blitzschlag über Nacht kam, nicht vorbereitet war und mit erheblichen handwerklichen Fehlern ins Werk gesetzt wurde. Aber prinzipiell geht die Agenda 2010 noch nicht weit genug. Sie hätte schon inden ersten drei, vier Jahren nach der Vereinigung der beiden deutschen Nachkriegsstaaten kommen müssen. Inhaltlich war sie, gemeinsam mit der Weigerung, sich am Irakkrieg zu beteiligen, die wichtigste Tat des Kanzlers Schröder.

    25. September 2008

[ Inhalt ]
    »Sensibilität für die politischen
Gefühle der Russen«
    Über Imperialismus
    Lieber Herr Schmidt, man muss Sie nicht gut kennen, um zu merken, dass Ihnen die Berichterstattung über Russland nach dem Georgien-Konflikt nicht behagt. Auch nicht die in der ZEIT .
    Die Berichterstattung über Russland behagt mir schon seit Jahren nicht sonderlich, das fing schon vor dem Tschetschenien-Krieg an.
    Was stört Sie denn nun daran?
    Ich will Sie mal an die Monroe-Doktrin erinnern.
    Daran, dass die USA Lateinamerika zu ihrem Hinterhof erklärt haben?
    Nicht nur. Die Monroe-Doktrin aus dem Jahre 1823 verfolgt zwei Prinzipien amerikanischer Interessenpolitik. Erstens: Ihr Europäer habt hier in Amerika nichts zu suchen. Zweitens: Wir werden uns nicht um das kümmern, was ihr in Europa macht. Die erste Hälfte ist nach wie vor eine amerikanische Doktrin. Wenn sich da einer einmischt, wie zum Beispiel Chruschtschow in Kuba, kann das bis zu einem Dritten Weltkrieg führen.
    Der zweite Teil hat sich erledigt.
    Ja, weil Amerika inzwischen in allen Teilen der Weltinteressiert und machtpolitisch involviert ist. Daran nehmen andere Großmächte wie Russland und China Anstoß. Es gibt einige in der politischen Klasse Amerikas, die glauben, sie könnten sich über die Einflusssphären anderer Großmächte hinwegsetzen. Und in diesem Sinne wird die westliche Publizistik beeinflusst. Nehmen wir Georgien: Es wird allen Ernstes debattiert, das Land in die Nato aufzunehmen. Georgien ist kein Teil Europas, sondern ein Teil Asiens. Der Nordatlantik-Vertrag spricht davon, dass man andere europäische Staaten aufnehmen kann, von asiatischen Staaten ist dort keine Rede.
    Jeder Vergleich hinkt ein bisschen, dieser aber ganz besonders: Die USA kämen doch heute nie auf die Idee, sich zum Beispiel ein Stück von Mexiko einzuverleiben.
    Das haben sie schon getan. Arizona und andere Staaten der USA, auch Texas, waren ursprünglich Teile des mexikanischen Staates.
    Aber der mexikanisch-amerikanische Krieg war vor mehr als 150 Jahren! Heutzutage würden wir eine Invasion der USA in Mexiko doch genauso deutlich verurteilen wie Russlands Vorgehen in Georgien.
    Das will ich hoffen. Ich hätte nichts dagegen, Russland zu verurteilen, aber ich habe etwas dagegen, die Russen allein in den Anklagestand zu versetzen. Seit Gorbatschow ist Georgien der allererste Fall einer russischen Invasion. Die Angriffe der USA auf Serbien, Irak und Afghanistan kamen vorher.
    Die Deutschen sind ein Volk von Russland-Verstehern geworden!
    Jedenfalls haben viele Deutsche eine etwas größere Sensibilität für die politischen Gefühle der Russen. Und das ist gut und notwendig.
    Was auch etwas Positives sein kann. Die Kehrseite davon ist die Bereitschaft zum Appeasement.
    Das glaube ich nicht, jedenfalls würde ich das für mich keineswegs gelten lassen. Appeasement heißt Beschwichtigung, und ich bin immerhin einer der Urheber des Nato-Doppelbeschlusses. Es spielt aber eine positive Rolle, dass die Russen meiner und der nachfolgenden Generation erstaunlicherweise keine Ressentiments mehr gegen die Deutschen haben. Und

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