Auf einmal ist Hoffnung
»Er hatte nur gute Eigenschaften. Er war gütig, hilfsbereit, klug, ein Menschenfreund und aufrichtig.« Als müsse er sich letzteres besonders bestätigen, wiederholte er: »Er war so aufrichtig, wie ich kaum einen Menschen gekannt habe.« Und zugleich dachte er an sich selbst. Er wußte, daß er es nicht übers Herz brachte, Jennifer die schonungslose Wahrheit zu sagen, daß er sie belog, mit jedem seiner Worte. Aber er konnte nicht anders, er war nun einmal schrecklich feige. In Gedanken bat er sie um Verzeihung.
Doch er sagte: »Es gehört viel Mut zu solcher Aufrichtigkeit.«
Sie sah zu ihm hin, bewunderte seine Vitalität, fühlte sich in seiner Nähe geborgen und war froh, ihn besucht zu haben. »Der Kaffee scheint dir wirklich neue Kraft zu geben«, sagte sie anerkennend.
»So etwas habe ich schon öfter gehört«, antwortete er lächelnd, »aber dein Vater hat keinen Kaffee gebraucht. Er hatte genug Temperament und Phantasie. Ich dagegen muß mich anregen lassen. Zum Beispiel von der ›Medical Tribune‹.« Er holte sich ein Glas Eiswasser und behielt das Glas nachdenklich schmunzelnd in der Hand. »Heute regt sie mich natürlich besonders an, weil ein Artikel von mir abgedruckt ist.« Es kam kaum hörbar.
»Ein Artikel von dir? Gratuliere, Onkel Louis.« Sie freute sich aufrichtig.
»Er berührt in etwa unser Thema«, sage er in sich gekehrt, »ich gebe ihn euch mit, dann könnt ihr zu Hause noch mal alles nachlesen. Nur eins müßt ihr dabei bedenken: Der letzte Satz gilt inzwischen nicht mehr.«
»Was besagt dieser letzte Satz?« Patrick sah ihn gespannt an.
»Er beschäftigt sich indirekt mit einem Teil des Problems Monroe Kahn. Damit ihr ihn aber versteht, müßt ihr Genaues über meinen Job erfahren. Doch den Job hätte ich euch auch ohne den Artikel in der ›Medical Tribune‹ ausführlich erläutert, denn anders bliebe für euch die ganze Geschichte ein Rätsel.« Louis sah selbstvergessen von einem zum anderen, als suche er nach dem geeigneten Anfang für seine Schilderung.
Patrick kam ihm mit einer Frage unwillkürlich entgegen. »Sie haben vorhin gesagt, daß Sie auch in Harvard in der medizinischen Forschungsabteilung gearbeitet haben. Heißt das, daß Sie auch hier ausschließlich in der Forschung tätig sind?«
»Ja.« Louis nickte. Es dauerte noch einen Augenblick, bis er zu erzählen begann: »Ihr wißt inzwischen, daß man die Krebsforschung vielschichtig sehen muß. Ich arbeite auf einem Teilgebiet, das von einer Anzahl hochqualifizierter Fachleute schon heute als eine Art medizinische Sensation betrachtet wird. Vielleicht ähnlich der Entdeckung des Poloniums und Radiums durch die Curies vor mehr als einem halben Jahrhundert. Oder der Entdeckung des Penizillins durch den englischen Bakteriologen Alexander Fleming.«
Wieder sah er sie beide an. Diesmal wollte er seine Worte wirken lassen.
»Sind Sie der einzige, der an dieser Sache arbeitet?« fragte Patrick beeindruckt.
»Nein«, antwortete Louis ohne Überlegung, »aber wir sind nicht allzu viele«, und er zählte auf: »Das Zentrale Gesundheitslabor in Helsinki. Sellenstett am Karolinska Institut. Das Weizmann-Institut in der Schweiz. Rentschier in Deutschland. Das Sloan-Kettering-Institut in New York. Und noch ein paar andere.«
Jennifer hörte gedankenvoll zu und sagte kaum hörbar: »Und ich wußte nicht einmal, daß du in der Forschung tätig bist.« Es galt mehr ihr selbst.
Als habe sie ihm eine Frage gestellt, antwortete er ihr lebhaft: »Ich habe hier in Galveston ein großartiges Team beisammen. Lauter besessene Leute, für die es keinen Feierabend gibt, wenn es darum geht, einen Versuch ohne Pause durchzuziehen. Vor ein paar Tagen haben wir zum Beispiel nachgewiesen, daß die Aktivität von Alpha- und Gamma-Mischungen bis zu hundertfach stärker ist als die Summe der Aktivität der Einzelbestandteile.«
Patrick unterbrach ihn höflich: »Ich glaube, Sie überfordern uns jetzt, Louis.«
Louis stutzte. »Natürlich. Ihr wißt ja gar nicht, wovon ich spreche.«
Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und sagte knapp: »Ich arbeite an der Herstellung und Auswertung von Superfexon.« Sein Blick ging prüfend von einem zum anderen, um ihre Reaktion aufzunehmen.
Sie reagierten unterschiedlich. Jennifer hatte von Superfexon schon einmal gehört, ohne Genaueres darüber zu wissen. Sie schwieg abwartend.
Aus Patrick jedoch brach es heraus: »Das ist ja phantastisch, wirklich genial. Ich habe darüber
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