Auf einmal ist Hoffnung
überwog für Elena, Maria und Francesco Muiz die Erleichterung, daß er, trotz allem, noch lebte.
20
Sie verließen das Haus wie verabredet. Es regnete noch immer. Jennifer spannte ihren Schirm auf. Schon auf der Höhe des Saint Anthony Convent sahen sie, daß der Lincoln ihnen folgte. Sie gingen schneller.
Wie es ihr Plan war, rannten sie vor zum kleinen Father Fagan Square, der in die Avenue of the Americas überging, die hier unten um diese frühe Tageszeit wenig Verkehr hatte. Sie überquerten die Avenue und liefen genau auf Pelosis kleinen Laden zu. Die paar Stufen hinunter, und Jennifer verschwand in der Tür. Patrick blieb inzwischen am Gehsteig stehen, in der Nähe des eisernen Geländers, das zum Laden hinunterführte.
Der Lincoln hielt in Sichtweite an. Arrincha steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen und entflammte ein Feuerzeug.
Patrick hatte recht behalten. Das Interesse des Mannes galt Jennifer. Wahrscheinlich war er darauf aus, sie zu kidnappen, um aus ihr das Versteck des Superfexons herauszupressen, dachte er und ließ keinen Blick von dem Wagen.
Carlo Pelosi hatte schon alles vorbereitet. Stolz sprach aus ihm, weil Jennifer sich an ihn um Hilfe gewandt hatte. »Jennifer, mi fa molto placare di potería aiutare.« Vor Begeisterung verfiel er in seine Muttersprache.
Er dirigierte Jennifer mit einer zuvorkommenden Handbewegung zum Hinterausgang, hielt ihr die Tür auf, ließ sie vorangehen und sagte verschwörerisch leise: »Es war eine gute Idee, daß Sie mich angerufen haben.«
An Abfalltonnen vorbei, einen Kellergang entlang, über einen Hof, durch einen Hausflur, dann befanden sie sich an der Ecke Varick und King Street, wo Carlo seinen Lieferwagen abgestellt hatte.
Rechtzeitig um sieben Uhr hielt Carlo Pelosi an der Fünfzigsten zwischen der Eight und Ninth Avenue.
»Danke, Carlo, daß Sie das für mich getan haben.« Jennifer stieg aus.
»Meinetwegen hätte die Fahrt noch Stunden dauern können«, rief Carlo ihr aus dem offenen Fenster zu und lächelte breit übers ganze Gesicht.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Patrick seine Aufgabe längst erfüllt. Durch sein Warten vor dem Laden hatte er Arrincha glauben lassen, daß sich Jennifer noch immer beim Einkaufen befände. Als Arrincha schließlich ungeduldig geworden und näher herangefahren war, hatte Patrick ein Taxi herbeigewinkt und sich zum Plaza Hotel bringen lassen.
Noch bevor der Lincoln herankam, war Patrick vom Taxi aus mit ein paar Schritten im schützenden Hotel verschwunden und fuhr im Lift schon hoch.
Wenig später telefonierte er mit Karen. Bei ihr gab es nichts Neues. Brown hatte sich nicht mehr gemeldet. Für Patrick war diese Angelegenheit ausgestanden. Er sollte recht behalten.
21
Ihr war, als sei Doktor Joshua Coblence innerhalb der vergangenen fünf Wochen um Jahre gealtert. Zwar war er für sie seit jeher ein alter Mann gewesen, gramgebeugt und anscheinend zu keiner Gefühlsregung fähig, doch diesmal hatte sie das Empfinden, einen gebrochenen Mann vor sich zu haben.
Sie kannte ihn schon seit ihrer frühen Jugend, als ihr Vater sie zum erstenmal zu seinem Hausarzt mitgenommen und sie ihm als Patientin zugeführt hatte. Seither war sie ihm regelmäßig jährlich einmal begegnet, zu einem allgemeinen Check-up; das letzte Mal eben vor fünf Wochen, im Beisein ihres Vaters.
»Nehmen Sie Platz, Jennifer.« Die fette Stimme, eine flüchtige Handbewegung. Er stand im weißen Arztmantel vor ihr.
Sie setzte sich, schlug die Beine übereinander und sah ihn argwöhnisch an.
Als sie schon neben Carlo Pelosi im Lieferwagen saß, hatte sie noch überlegt, ob sie den Termin mit Coblence tatsächlich wahrnehmen sollte. Coblence war ein ängstlicher Mann, dem sogar der Mut zum unbeschwerten Leben fehlte. Sie war nicht gewillt, sich in ihrer jetzigen Lage womöglich seine übliche Hypochondrie anzuhören. Nur sein Drängen gestern nacht und vor allem die für einen Termin ausgefallene Zeit um sieben Uhr morgens hatten für sie dann den Ausschlag gegeben, der Aufforderung letzten Endes doch nachzukommen.
Er sank in den Stuhl ihr gegenüber. Dann nahm er die randlose Brille ab und begann sie mit einem Tuch umständlich zu säubern. Seine Augen lagen eingebettet in schwere Tränensäcke und wirkten müde.
Sie ließ keinen Blick von ihm. Der Raum, in dem sie sich befand, interessierte sie nicht. Er war seit Jahren unverändert. Weiße Wände. Weißer Medikamentenschrank. Weißer Tisch, auf dem sich Bücher, Schriften und
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