Auf einmal ist Hoffnung
schnellen Schritten voraus, den weißgekachelten Flur entlang zum Lift.
Wenig später war für Jennifer alles vorbei. Ihr war, als habe sie das Ganze im Traum erlebt. Sie hatte die Identifizierung des Leichnams ihres Vaters hinter sich.
Jetzt stand sie mit Patrick einen Augenblick lang unschlüssig vor dem Haupteingang des Offices an der First Avenue. McLintock war in seinem blau-weißen Plymouth schon weggefahren. Nächtliche Stille war um sie. Von Downtown herauf kamen die Lichter von ein paar Wagen heran. Die treibenden Wolken gaben für kurze Zeit den Mond frei, und Patrick sah Jennifers Gesicht.
Er erschrak, aber er ließ es sich nicht anmerken. Jennifer sah erbärmlich aus. Die klassische Schönheit konnte man nur noch ahnen. Die zarten, ohnehin schmalen Wangen waren stark eingefallen. Die großen, sprechenden Augen lagen müde in dunklen Höhlen, und die weichen Lippen hatten einen herben Zug bekommen.
Sie drehte sich von Patrick weg und warf einen Blick zurück zu den drei Stufen, die zum Windfang des Gebäudes hochführten, von dem aus man über eine breite Treppe hinauf zur nüchternen Halle gelangte, der auch ein paar Blattpflanzen keine Wärme geben konnten. Jennifers Ausdruck war in sich gekehrt. Es schien, als wollte sie sich von ihrem Vater endgültig verabschieden.
»Komm, laß uns ein Taxi nehmen«, riß Patrick sie aus ihren schwermütigen Gedanken.
Fröstelnd schlug sie den Mantelkragen hoch, verbarg ihr Gesicht darin und hakte sich bei Patrick unter. Es tat ihr wohl, daß sie eine Stütze hatte.
Als sie die Straße erreichten und Patrick ein Taxi heranwinken wollte, schüttelte sie den Kopf. »Nein, Rick, laß uns zu Fuß gehen. Ich brauche frische Luft.«
»Zum Plaza oder zur Prince Street?« fragte er, ehe sie den Weg fortsetzten.
»Nach Hause«, antwortete sie kurz, und sie gingen schweigend durch die Nacht.
Patrick achtete darauf, daß sie ungefähr die Richtung zum Village einhielten. An der Grünanlage vorbei, hinter der die langgestreckte, dreistöckige verglaste Eingangsfront des Health Care Center der New York University lag, wo vor einer halben Stunde noch der Cutlass mit Menendez und Rocha am Gehsteig gehalten hatte, bogen sie ab in die Vierunddreißigste.
Im Theater an der nächsten Ecke war gerade die Vorstellung beendet, Steve Goochs ›Female Report‹. Im Eisladen, einen Block weiter, herrschte noch Hochbetrieb.
Patrick sah Jennifer von der Seite an. »Bist du okay?«
»Ja«, sagte sie leise, »ich will jetzt nicht müde sein.«
Es waren kaum noch Fußgänger unterwegs, beinahe ausschließlich Taxis.
Vor der New Church hielt Patrick kurz an und sagte nachdenklich: »Warum hat dir Monroe wohl über seine Reise nach Texas nichts Genaues gesagt?«
»Nein, Patrick, das bringt nichts.« Sie zog ihn mit sich weiter.
»Er hat dich vermutlich absichtlich nicht eingeweiht.« Er warf ihr einen flüchtigen Blick aus den Augenwinkeln zu.
»Vielleicht hat er eine alte Liebe besucht. Heimlich.« Sie sagte es sarkastisch und wollte das Thema beenden.
»So meine ich das nicht, Jenny«, antwortete er behutsam, »aber ich glaube, daß sein Tod irgendwie mit dieser Reise zusammenhängt.«
»Das ist durch nichts zu beweisen«, sagte sie kurz angebunden.
»Es ist mehr ein Gefühl«, entgegnete er gedankenversunken.
Als sie verloren geradeaus schaute und schwieg, fuhr er mit gedämpfter Stimme besonnen fort: »Willst du nicht wissen, wieso es geschehen ist?«
»Doch«, sagte sie leise und verkroch sich in ihrem hochgeschlagenen Mantelkragen.
Sie erreichten die Prince Street erst nach Mitternacht. So entgingen sie, ohne es zu wissen, Zenon Menendez und Roberto Rocha, die noch vor wenigen Minuten Jennifers Haus beobachtet hatten.
»Du bist müde, Jenny.«
Sie nickte.
Er ließ sich von ihr die Schlüssel geben und schloß die Haustür auf. »Ich bleibe heute nacht bei dir«, sagte er teilnahmsvoll.
»Nein, Rick, das will ich nicht«, entgegnete sie erschöpft.
»Keine Widerrede, Jenny, ich lasse dich heute nicht allein.« Er sprach sanft.
Sie gab die Tür nicht frei.
»Jenny, sei vernünftig.«
»Bitte, geh jetzt.« Sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten.
»Ich fühle mich für dich verantwortlich, Jenny. Wenigstens in dieser Nacht.« Er schob sie behutsam zur Seite, schloß die Tür hinter ihnen beiden und führte Jenny die steile, schmale Treppe hoch. Auch er spürte auf einmal, daß er Schlaf brauchte.
10
Als Jennifer Kahn am darauffolgenden Morgen erwachte,
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