Auf einmal ist Hoffnung
allein sein.
»Darf ich mich noch weiter umsehen?« fragte er mit gedämpfter Stimme.
Sie nickte.
Er ging zurück in die Bibliothek und setzte dort seine Suche fort.
Auf einmal ging durch Jennifer ein Ruck. Die Briefe! durchschoß es sie heiß. Hastig stand sie auf und ging hinüber ins Arbeitszimmer.
Sosehr sie diesem Lopez auch vertraute, aber die Liebesbriefe, die ihre Mutter ihrem Vater geschrieben hatte, sollten ihm nicht in die Hände fallen. Sie sollten Vaters wohlgehütetes Geheimnis bleiben.
Sie öffnete die Würzburger Bodenstanduhr, griff hinter das Pendel und holte einen Schlüssel hervor. Mit ihm sperrte sie den georgianischen Sekretär auf, hob den Deckel herunter und zog die linke untere Schublade heraus.
Wie immer lagen die Briefe auf ihrem Platz, gebündelt und mit einem roten Band verschnürt. Sie nahm sie an sich und wollte schon die Schublade wieder zurückschieben, als sie stutzte. In der Ecke lag ein aufgerissenes Kuvert mit dem Absenderaufdruck KAROLINKSA INSTITUT STOCKHOLM. Es war ihr fremd.
Sie nahm es heraus. Es war genau vor einer Woche gestempelt. Sie griff nach dem Briefbogen, schlug ihn auseinander und überflog schnell die paar Zeilen. Plötzlich hörte sie Rocha kommen.
Überstürzt faltete sie das Schreiben wieder zusammen, steckte es ins Kuvert, schob die Schublade zurück, schloß den Deckel, versperrte den Sekretär und steckte die Briefe mitsamt dem Kuvert in ihre Umhängetasche.
»Haben Sie etwas entdeckt?« Rochas Stimme klang freundlich.
»Nein.« Sie sah ihn offen an und spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoß.
»Der Spürsinn eines Polizisten«, entschuldigte er seine direkte Frage mit einem Achselzucken, und sein Blick ging zur Standuhr.
Das Gehäuse war noch offen. Jennifer erschrak, aber sie bemühte sich, es sich nicht anmerken zu lassen. Blitzschnell erfand sie eine Ausrede: »Die Uhr war stehengeblieben. Ich wollte sie gerade aufziehen.« Sie schloß das Gehäuse.
Er wußte, daß sie log, doch er gab sich mit ihrer Antwort zunächst zufrieden.
Sie setzten sich einander gegenüber, und ihre Unterhaltung verlief eine Zeitlang im Belanglosen. Plötzlich hatte er das Gefühl, als höre Jennifer ihm gar nicht mehr zu. Ihre Umhängetasche trug sie bewußt noch über der Schulter.
»Störe ich Ihre Gedanken?« fragte er mit gedämpfter Stimme.
»Mein Vater war nach seiner Reise noch mal hier«, antwortete sie kaum vernehmlich, »ich erkenne es an dem Aktenkoffer dort.« Ihr Blick ging zum Kamin.
»Sein übliches Handgepäck?« fragte er leise.
Sie nickte.
Schweigen breitete sich aus. Von weit her hörte man, wie sich der Aufzug des Hauses in Bewegung setzte.
»Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment.« Ohne Rochas Reaktion abzuwarten, stand sie entschlossen auf und verließ den Raum. Sie ging mit schnellen Schritten hinauf in das im oberen Stockwerk gelegene Schlafzimmer und sperrte sich dort ein.
Dann suchte sie im Telefonbuch die Vorwahlnummern für Schweden und Stockholm, nahm den Brief des Karolinska Instituts aus ihrer Umhängetasche und wählte die auf dem Briefkopf angegebene Nummer.
Gleich darauf wurde in Stockholm der Anruf entgegengenommen. Dort war es jetzt schon später Abend. Das Gespräch war kurz, aber für Jennifer entscheidend.
Als sie wieder ins Arbeitszimmer zurückkam, saß Rocha noch auf seinem Platz. Sie tat, als habe sie sich im oberen Stockwerk davon überzeugt, daß ihr Vater nach seiner Reise tatsächlich noch einmal in seine Wohnung zurückgekommen war, und log, um den Dialog fortzuführen: »Auch mein Foto liegt wieder auf seinem Nachttisch.«
»Hatte er es mitgenommen?«
»Es gibt für ihn keine Reise ohne das Foto. Er hat es immer in der Jackentasche.«
Die Unterhaltung wollte nicht mehr recht in Fluß kommen.
»Ich hätte nicht auf dem Besuch hier bestehen sollen«, sagte er bedauernd, »er belastet Sie bloß.«
»Nein, es ist gut, daß wir hier sind«, entgegnete sie tapfer, »wahrscheinlich hätte ich diese Erinnerung so lange gemieden, bis sie mich erdrückt hätte. Aber so ist wenigstens ein Anfang gemacht, und ich stelle mich meiner Situation.«
Als er nicht widersprach, setzte sie hinzu: »Ich bin Ihnen jetzt sogar dankbar, daß Sie mich dazu gebracht haben, schon heute hierherzukommen. Aber ich will Ihnen auch gestehen, daß ich vorhin bei der Herfahrt mehrmals überlegt habe, ob ich beim nächsten Stop nicht aussteigen soll.«
Sie starrte geradeaus auf die Konsole des Kamins.
Seine Augen folgten
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