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Auf ewig und einen Tag - Roman

Titel: Auf ewig und einen Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Joy Arnold Angelika Felenda
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Leute verdienten. Er war eigensinnig. Hatte seine eigenen Regeln.
    Ich starrte auf die zerrissenen Bilder, die noch immer am Boden lagen: ein verstümmeltes Bein und zwei gefaltete Hände, ein amputierter Kopf mit einem purpurroten Gesicht. Und plötzlich kapierte ich es. Ich verstand Gott. Denn zu leben würde nicht nur heißen, dass ich verloren hatte, sondern vor allem, dass ich mir immer und immer wieder würde ansehen müssen, was ich alles verloren hatte. Ich würde mich winden und in meinem Inneren wühlen, mir Tag für Tag die Handgelenke aufschlitzen und mich daran erinnern, was ich getan hatte. Mich an mich erinnern.
    Ich riss die Decke herunter, drückte sie auf die Wunde und spürte, wie Ströme von Blut in meinem Handgelenk pulsierten. Ich wartete, dass das dunkle Rot durchsickerte und sich in warmen Pfützen sammelte, doch als ich die Decke wegzog, um nachzusehen, entdeckte ich nichts weiter als harmlose kleine Flecken und Schmierspuren, die schon fast getrocknet waren. Einen Moment lang blickte ich auf meine Hand hinab, dann stand ich auf.

    Ich packte nicht, sondern zog nur die Plastiktüte unter Eves Bett hervor. Ich nahm eine Handvoll Geldscheine, das Geld, das Justin Eve gegeben hatte, dann nahm ich das Foto von den beiden Mädchen am Strand in ihren neuen pinkfarbenen Badeanzügen aus der Tüte. Ich legte es zwischen meine Handflächen, hob die Hände wie zum Gebet ans Gesicht und steckte es dann gemeinsam mit der Kahlúa-Flasche in meinen Rucksack. Erinnerungsstücke.
    Daddys Tür war immer noch zu. Dahinter war es still. Ich sammelte die Papierfetzen auf, die ich dort verstreut hatte, und stopfte sie in die Tasche. Weitere Erinnerungsstücke.
    Ich drehte mich um, um die Treppe hinunterzugehen, als Daddys Tür aufging. Ich erstarrte.
    Eve stand da, barfuß, mit zerknittertem Hemd. Sie sah mich lange schweigend an, dann nickte sie langsam.
    Sie wusste Bescheid.
    Sie sah mein Gesicht, den Rucksack, und wusste Bescheid. Ich wollte etwas sagen. Ich wollte etwas sagen, das sie treffen, in Beschlag nehmen, die Dinge verlangsamen würde, um mir Gelegenheit zu geben, mich noch anders zu entscheiden. Doch obwohl meine Gedanken rasten, fiel mir nichts ein. Sie setzte ein schmales Lächeln auf, das ihre Augen nicht erreichte, und es gab nichts mehr zu sagen. Ich wandte mich ab, ging die Treppe hinunter, und ich stellte mir vor, wie Eve mit geballten Fäusten dort stand, äußerlich siegreich und doch geschlagen.
    Es dauerte noch mehrere Stunden, bevor die erste Morgenfähre kam, also ging ich durch die Straßen. Ich ging auf Füßen, die sich taub anfühlten, starrte stumm und geschockt auf die roten Flammen des Morgens am Horizont, die sich wie Narben über den Himmel zogen. Ich ging am Friedhof vorbei, ohne stehen
zu bleiben. Ich ging am Eingang von Rodman’s Hollow und bei den Macleans vorbei. Ich ging an den Klippen entlang und sah auf die spitzen Zacken hinaus, und als ich mit dem Abschied von meiner Vergangenheit fertig war, stieg ich den Hügel zu LoraLee hinauf. Sie war die Einzige, die es kümmern würde, wenn ich fort war.
    Ohne zu klopfen, öffnete ich die Tür. In ihrem Haus war es dunkel und warm wie in einem Bauch. Sie lag im Bett, ihre Brust hob sich mühsam bei jedem Atemzug. Ich sah sie eine Weile an, dann setzte ich mich neben sie auf die dünne Matratze. »Ich gehe«, sagte ich.
    LoraLees Kopf fuhr hoch. Sie rieb sich die Augen. »Kerry? Bist du das?« Ihre Stimme klang heiser. Sie stützte sich auf die Ellbogen und beobachtete mich, ohne etwas zu sagen. Nach einer Weile schüttelte ich den Kopf. »Ich hab Dinge getan, von denen du nichts weißt, und ich halte es hier nicht mehr aus.«
    Sie zog die Augenbrauen hoch, und ich wandte mich ab. »Weil ich dachte, er sei mein, und weil ich versucht habe, ihn zu behalten, aber in Wirklichkeit hat mir eigentlich gar nichts gehört.« Meine Stimme brach. »Und die Wahrheit ist, am Ende war alles meine Schuld, weil ich diejenige war, die gestohlen hat.«
    »Ach, Mädchen.« LoraLee setzte sich auf und nahm meine Hände in die ihren.
    Die Wärme ihrer Finger trieb mir Tränen in die Augen. »Also gehe ich.«
    Sie sah mich eindringlich an, dann schüttelte sie den Kopf. »Wer wird für dich sorgen?«
    »Ich sorge selbst für mich, das kann ich jetzt. Ich weiß nicht, wohin ich gehe, vielleicht nach Boston für den Anfang, und
dann finde ich einen tollen Job und eine schöne Wohnung und vergesse das Ganze.«
    »Vergessen?« Sie legte eine meiner

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